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Den Tod vor Augen - Numbers 2

Den Tod vor Augen - Numbers 2

Titel: Den Tod vor Augen - Numbers 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Ward
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Träne und rinnt über die vernarbte Haut seines Gesichts.

ADAM
    Wir bleiben noch Wochen in London, zuerst in einem Feldlazarett, das auf dem Trafalgar Square errichtet wurde, dann, als es heißt, ich bin über den Berg, und meine Brandwunden allmählich heilen, im Hyde-Park-Lager. Ich weiß nicht, worauf wir warten. Vielleicht hoffen wir, dass bald alles wieder normal werden wird. Doch auch als aus Tagen Wochen werden, scheint sich nichts zu ändern, nur dass die Schlangen länger werden und die Essensrationen kleiner.
    Die Stadt ist nachts dunkel. Das englische Stromnetz ist zusammengebrochen. Wir haben Generatoren hier, aber um zehn wird das Licht abgeschaltet und es ist stockdunkel, bis die Dämmerung einsetzt.
    Wir leben zu fünft in unserem Zelt, es kommt mir vor, als wären wir zehnmal so viele, wenn die Jungs wieder die Nacht über getobt, sich im Bett gewälzt und geschrien haben. Wir erleben jetzt das Gleiche, was Sarah mit ihren Albträumen durchgemacht hat, sogar die Kinder. Besonders die Kinder. Wenn einer der Jungs anfängt zu weinen, weckt er den andern auf und der fängt auch an zu weinen und schon sind alle wach. Sarah tut, was sie kann, aber sie wollen nicht sie in der Nacht. Sie wollen ihre Mutter. Doch ihre Mum wird nie mehr mit ihnen kuscheln.
    Auch ich habe Albträume. Ich sehe immer wieder dasselbe – eine schmale Gestalt, die von mir fort in die Flammen geht. Ich erreiche sie nicht. Sie hört mich nicht. Sie dreht sich nicht ein Mal um. Ich kann nur dastehen und zusehen, wie die Flammen sie verschlingen.
    Sarah schläft kaum noch wegen der Jungs und Mia. Das Merkwürdige ist, Mia hat keine Probleme. Sie weint nicht. Sie nuckelt und schläft und nuckelt wieder ein bisschen. Man könnte meinen, ein drei Monate altes Baby wäre an so einem Ort das größte Problem, doch Mia ist wirklich ein Musterkind: ruhig, mit sich im Reinen, ja, sogar glücklich. Wenn ich fix und fertig bin, wenn ich glaube, nichts geht mehr, nehme ich sie hoch, halte sie fest und auf einmal fühle ich mich wieder wie ein Mensch.
    Die Soldaten, die die Kontrolle über das Lager haben, rationieren das Wasser, und ich weiß, es ist Zeit zu gehen.
    »Wo sollen wir hin?«, fragt Sarah.
    »Keine Ahnung. Irgendwohin, wo sie etwas zu essen anbauen. Irgendwo in die Nähe eines Flusses, damit wir so viel Wasser haben, wie wir brauchen. Irgendwo in die Nähe eines Waldes, damit wir Holz haben, das wir verbrennen können, um uns warm zu halten.«
    Sie seufzt.
    »Du willst aufs Land ziehen? Es gibt dort nichts, Adam. Wir werden verhungern. Wir werden sterben.«
    »Nennst du das hier denn Leben? Es gibt bereits Cholera im Lager. Sie verschweigen es, aber ich habe gehört, dass bereits drei Menschen gestorben sind. Wir müssen die Kinder hier wegbringen, Sarah. Das hier ist kein guter Ort.«
    Sie zieht die Augenbrauen zusammen und drückt Mia fester an sich.
    »Sind die Zahlen der Jungen schlecht, Adam? Wie lauten ihre Zahlen?«
    Mein Magen dreht sich um. Wir haben nicht mehr über die Zahlen gesprochen. Ich habe versucht, sie zu verdrängen, niemanden anzusehen, nicht drüber nachzudenken, denn wenn ich es tue, macht es mich fertig. Jetzt strömt alles wieder auf mich ein, als ob ein Damm gebrochen wäre.
    »Es hat überhaupt nichts mit den Zahlen zu tun, Sarah!« Ich schreie, ohne es zu merken. »Du kannst ihnen nicht trauen. Zahlen verändern sich. Eine schlechte Zahl kann sich in eine gute verwandeln. Und eine gute Zahl kann sich in eine schlechte verwandeln.«
    Sie streckt eine Hand aus und streichelt meinen Arm.
    »Ist gut, Adam. Ist gut. Beruhige dich. Wir gehen. Wir gehen von hier fort.«
    Ich versuche meine Atmung wieder unter Kontrolle zu bringen und höre auf, mit dem Körper vor- und zurückzuschwingen.
    »Tut mir leid, Sarah. Es ist nur … nur …«
    »Ich weiß, ich weiß«, beschwichtigt sie. »Heute ist es zu spät, noch aufzubrechen. Wir gehen morgen.«
    Am Morgen packen wir still unsere wenigen verbliebenen Sachen zusammen.
    »Tun wir auch wirklich das Richtige?«, fragt Sarah, unmittelbar bevor wir das Lager verlassen. Sie hat dunkle Ringe unter den Augen und ihr Gesicht ist schmal geworden. Aber sie sieht noch immer wunderschön aus. Ich muss sie einfach ansehen, und als sie in meinem Gesicht nach Antworten sucht, erfüllt ihre Zahl wieder meinen Kopf, und plötzlich möchte ich, dass sie stimmt. Ihre Zahl bedeutet Hoffnung, Liebe und Licht. Ihre Zahl lässt in mir den Wunsch wachsen, an ein glückliches Ende zu

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