Den Tod vor Augen - Numbers 2
reingelegt und mir gleich am ersten Tag grundlos Probleme aufgehalst. Toll gemacht, Sarah.
Er muss meine Bewegung aus dem Augenwinkel wahrgenommen haben, denn er schaut sich um und entdeckt mich. Er klappt sein Notizbuch zu und steckt es zurück in die Tasche, dabei sieht er mich die ganze Zeit über an. Er wirkt so schuldig, wie ich mich fühle, weil er mich beim Gucken erwischt hat. Und doch schaue ich nicht weg, und als wir beide den Blick halten, dreht sich mein Magen um. Es gibt eine Verbindung zwischen uns.
Ich bin nicht verrückt.
Ich kenne ihn und er kennt mich.
O Gott, was ist los?
ADAM
»Und, kommst du zurecht?«
Oma sitzt auf ihrem Schemel in der Küche, als ich nach Hause komme, genau so, wie ich es erwartet habe. Wo immer sie ist – hier oder in Weston –, überall findet sie etwas, worauf sie sich niederlässt, einen Platz, der ihr gehört und auf dem sie sich Tee trinkend und Kette rauchend durch den Tag schlägt.
Ich zucke die Schultern. »Denk schon.«
Obwohl sie sich nie zu bewegen scheint, entgeht Oma nicht die winzigste Kleinigkeit, doch ich will ihr nicht von der Schule erzählen. Noch nicht. Sie muss nicht wissen, dass ich mir einen Feind gemacht und ein Mädchen kennengelernt habe.
Junior kümmert mich nicht, seine Drohungen sind mir sowieso egal. Vollidioten wie ihn kenne ich schon mein Leben lang. Wenn er noch mal Prügel will, kann er das haben. Ich hab keine Angst vor ihm. Aber das mit seiner Zahl, das ist was anderes. Ich hab sie in der Pause notiert, trotzdem geht sie mir nicht mehr aus dem Kopf. Es ist ein hässlicher Tod und er kommt schon so bald. Ich mache mir Gedanken, die ich gar nicht haben will. Zum Beispiel, ob ich vielleicht dabei bin, wenn es passiert. Vielleicht bin ja ich der mit dem Messer in der Hand …
Selbst jetzt, als ich gegen die Bank gelehnt in der Küche stehe, bricht mir der Schweiß aus und ich hab das Gefühl, jemand zieht mir den Boden unter den Füßen weg. Was, wenn unsere Zahlen identisch sind? Was, wenn ich gar nicht seinen Tod gespürt habe, sondern meinen? Dass ich meine eigene Zahl nicht kenne, macht mir zu schaffen – mehr als alles andere. Ich habe versucht, sie zu sehen. Alles ausprobiert, was einem einfällt: Spiegel, Fenster, sogar die Wasseroberfläche. Aber es klappt nicht. Es muss Auge in Auge sein und die einzige Person auf der Welt, die ich auf diese Weise nicht anschauen kann … bin ich selbst.
Ich glaube, das setzt mir bei den Achtundzwanzigern so zu. Es sind so viele, dass die Wahrscheinlichkeit, einer davon zu sein, ziemlich hoch ist. Es sind Hunderte in der Schule. Dreizehn allein in der Gruppe meines Betreuungslehrers.
»Wach auf, Adam, ich hab dich was gefragt.«
Omas Stimme unterbricht meine Gedanken und meine Stimme plappert, bevor mein Gehirn sie ausbremsen kann.
»Dreizehn.«
Scheiße. Hab ich das wirklich laut gesagt?
»Dreizehn was, Schatz?«, fragt Oma.
»Ach, nichts, ich hab nur über was nachgedacht … aus der Mathestunde.«
Sie zieht die Augenbrauen zusammen und bläst eine Rauchwolke Richtung Decke. Ich muss sie ablenken, deshalb stöbere ich in meiner Tasche und ziehe das Palm-Net raus, das sie mir gegeben haben, nachdem ich endlich registriert war. Ich hab versucht, es im Unterricht zu benutzen, aber ich hatte noch nie einen eigenen PC. Mum wollte keinen im Haus haben, deshalb bin ich viel langsamer als alle andern. Ich konnte sehen, wie sie mich beobachtet und gekichert haben – Hinterwäldler.
Oma schaut das Teil an, scheint aber desinteressiert. Sie hat sich an mir festgebissen, da braucht es schon mehr, um sie von ihrem Ziel abzulenken.
»Du magst Mathe, oder?«, fragt sie. »Zahlen und so?«
Ob ich Zahlen mag? Sie mag? Sie beobachtet mich jetzt und plötzlich bin ich mir nicht mehr sicher, was sie mit ihrer Frage eigentlich meint. Ich habe nie jemandem von den Zahlen erzählt, nur Mum und einer Lehrerin aus der Schule, als ich noch klein war und nicht wusste, was sie bedeuteten. Mum hat immer gesagt, sie wären unser Geheimnis, etwas Besonderes zwischen mir und ihr. Und so hab ich es auch immer gehalten. Ich hatte das Geheimnis für mich bewahrt. Als sie starb, glaubte ich, dass nur noch ich von den Zahlen wüsste. Ich allein. Aber jetzt bin ich mir da nicht mehr sicher.
»Ich glaub nicht, dass ich Zahlen mag«, sage ich vorsichtig. »Ich denke, sie sind einfach wichtig.«
»Ja«, antwortet Oma. »Ja, sie sind wichtig.«
Wir sehen uns eine Minute lang an und keiner sagt etwas. Das
Weitere Kostenlose Bücher