Denen man nicht vergibt
kleine gläserne Büro. Auch hier standen auf jedem freien Platz diese hässlichen me-tailenen Aktenschränke herum, die ihre besten Tage schon vor einem halben Jahrhundert gesehen haben mussten. Er legte sie auf die älteste, abgewetzteste, potthässlichste, kotzgrüne Couch, die er je gesehen hatte. Nein, das heißt, ein echtes Konkurrenzstück stand im Besucherzimmer der Pfarrei von Sankt Bartholomäus.
»Haben Sie ein Glas Wasser für sie, Delion?«
»Hä? Ach ja, gleich.«
Dane ging neben ihr in die Hocke. Mit dem geübten Blick eines Polizisten überflog er sie von oben bis unten. Sie schien obdachlos zu sein - zerrissene Jeans, drei verschiedene Pullis übereinander, alle ziemlich abgetragen, wenn auch sauber. Natürlich war sie ungeschminkt. Ihr halblanges Haar war schmutzig blond, leicht wellig und wurde hinten mit einem Gummiband zusammengehalten. Nicht einmal all die Pullis konnten verbergen, dass sie dünn und ziemlich blass war, so um die siebenundzwanzig, achtundzwanzig höchstens. Hatte wahrscheinlich Pech gehabt. Sie sah aus, als wäre sie lange nicht mehr in der Sonne gewesen oder kaum aus dem Obdachlosenheim rausgekommen. Außerdem sah sie aus, als könnte sie ein paar kräftige Mahlzeiten vertragen. Sie hatte eine Wollmütze in der Hand gehabt. Die umklammerte sie sogar jetzt noch, obwohl sie bewusstlos war.
Ihre Augenzeugin war eine Pennerin?
Natürlich war das nur der äußere Anschein. Was zählte, war, wie ein Mensch im Innern war. Aber wenn ihr Äußeres auf etwas schließen ließ, dann auf dies: Irgendetwas Schlimmes war ihr zugestoßen. Drogen? Ein brutaler Ehemann? Alkohol?
Wieso war sie ohnmächtig geworden? Vor Hunger?
»Hier ist das Wasser. Und? Ist sie schon wieder zu sich gekommen?«
»Noch nicht, aber gleich.« Dane schlug ihr leicht auf die Wangen, wartete dann einen Moment und wiederholte es.
Ein paar andere Kommissare schauten herein. Delion winkte ab. »Sie wird schon wieder, also holt bloß keinen Arzt.«
Eine Polizistin sagte: »Sie sieht aus, als hätte sie ’ne fette Pechsträhne. Da bist du der Letzte, an den sie sich wenden sollte, Delion.«
Ihre Lider zuckten. Langsam schlug sie die Augen auf, blinzelte mehrmals und richtete den Blick verwirrt auf Danes Gesicht über ihr.
»O nein«, sagte sie so leise, dass er sie kaum hören konnte. Sie wich zurück, presste den Rücken gegen die Couch. »O Gott, bin ich tot?«
Dane sagte: »Nein, Sie sind nicht tot. Und ich auch nicht. Sie kannten meinen Bruder, nicht? Vater Michael Joseph?«
»Ihren Bruder?«
»Ja, meinen Zwillingsbruder. Wir sind eineiige Zwillinge. Mein Name ist Dane Carver.«
»Sie sind kein Priester?«
»Nein«, sagte Delion. Er beugte sich vor, um sie genauer in Augenschein zu nehmen, und sie schreckte noch mehr zurück. Delion richtete sich wieder auf und sagte: »Er steht am anderen Ende der Fahnenstange.«
»Sie sind ein Krimineller?«
»Nein, bin ich nicht. War bloß so ein Cop-Scherz. Hier, trinken Sie ein bisschen Wasser.«
Er schob seine Hand hinter ihren Kopf, hob ihn ein wenig an und setzte ihr den Pappbecher an die Lippen. Sie nippte und sagte: »Danke, das reicht.«
Delion zog sich einen von Lieutenant Purcells Stühlen heran, setzte sich rittlings darauf und winkte Dane, sich auf den anderen Stuhl zu setzen. Dane zog ihn ans Sofa.
Delion sagte: »Sie wissen also was über Vater Michael Joseph? Über den Mörder vielleicht? Sie sind nicht zufällig die Frau, die uns am Sonntag um Mitternacht angerufen und den Mord gemeldet hat?«
»Doch«, sagte sie, unfähig, den Blick von Vater Michael Josephs Bruder abzuwenden. Sie hob die Hand und berührte das kleine Grübchen an seinem Kinn. Dane regte sich nicht. Dann ließ sie die Hand sinken und schluckte die aufsteigenden Tränen hinunter. Dane sah, dass sie eingerissene Fingernägel hatte und raue, rissige Hände. »Sie sind ihm so ähnlich«, sagte sie. »Ich kannte ihn erst seit zwei Wochen, aber er war immer nett zu mir, und ich weiß, dass ihm etwas an mir lag. Er war ein Freund. Ich bin nicht katholisch, aber das spielte keine Rolle. Ich war am Sonntagabend in der Kirche, als dieser Mann ihn erschoss.«
Delion sagte: »Wieso zum Teufel sind Sie nicht gleich zu uns gekommen? Herrgott, es ist Dienstagvormittag, und er wurde Sonntagnacht ermordet.«
»Ja, ich weiß. Es tut mir Leid. Ich musste von einer Telefonzelle aus anrufen, und ich fand erst zwei Blocks weiter eine, die funktionierte, in der Nähe eines Lebensmittelladens. Ich
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