Denen man nicht vergibt
habe beim Notruf angerufen, hab denen dort erzählt, was ich gesehen habe. Aber ich konnte nicht bleiben. Erst heute früh ist mir klar geworden, dass ich herkommen und mit Ihnen reden muss, dass ich vielleicht behilflich sein kann, obwohl das ziemlich unwahrscheinlich ist.«
»Warum sind Sie am Sonntag nicht dageblieben und haben gleich mit uns geredet?«
»Ich hatte einfach zu viel Angst.«
»Wieso?«
Sie sagte nichts, schüttelte nur den Kopf.
»Also gut«, meinte Delion und gab für den Moment nach. »Ich möchte jetzt, dass Sie tief Luft holen. Reißen Sie sich zusammen. Und jetzt erzählen Sie uns alles, was am Sonntag passiert ist, und lassen Sie nichts aus. Wir möchten jedes noch so kleine Detail wissen. Können Sie das?«
Sie nickte und schloss einen Moment die Augen vor dem Schrecklichen, dessen Augenzeuge sie geworden war.
Dane sah, wie sie die schäbige Wollmütze zwischen ihren langen, schlanken und sehr weißen Fingern hin und her drehte.
Sie starrte auf die Wollmütze hinunter und sagte: »Also gut, ich kann das. Ich saß in einer der vorderen Reihen auf der anderen Seite der Kirche und wartete darauf, dass Vater Michael Joseph fertig war.«
»Dann sind Sie also gekommen, nachdem der Mann den Beichtstuhl betreten hatte?«, erkundigte sich Delion.
»Nein, ich hatte davor kurz mit Vater Michael Joseph gesprochen, und er bat mich, zu warten, er müsse nur noch jemandem die Beichte abnehmen.«
Dane sagte: »War sonst noch jemand in der Kirche?«
»Nein, niemand außer uns beiden. Es war sehr dunkel. Vater Michael Joseph ging also zum Beichtstuhl und setzte sich hinein.«
»Sie haben die Person gesehen, wie sie die Kirche betrat?«
»Ja, ich sah ihn. Allerdings nicht sehr deutlich, aber ich konnte sehen, dass er schlank war und dichte schwarze Haare hatte, und er trug einen dunklen Trenchcoat. Ich habe wirklich nicht sonderlich auf ihn geachtet. Ich sah, wie er den Beichtstuhl betrat.«
»Konnten Sie hören, was Vater Michael Joseph und dieser Mensch miteinander redeten?«
»Nein. Es war vollkommen still, ganz so, wie man es sich spät nachts in einer Kirche vorstellt. Eine ganze Zeit verstrich, dann hörte ich dieses Geräusch, so ein Ploppen. Ich wusste sofort, dass das eine Pistole war.«
»Woher wussten Sie das?«, fragte Delion. »Die meisten Leute würden nicht gleich an eine Schusswaffe denken, wenn sie ein >plopp< hören.«
»Ich war oft mit meinem Vater auf der Jagd, als er noch lebte.«
»Also gut, und dann?«, fragte Dane.
»Kurz darauf kam der Mann aus dem Beichtstuhl. Ich glaube, er lächelte, bin mir aber nicht sicher. In der Hand hielt er eine große, hässliche Pistole.«
6
Sie trank noch einen Schluck Wasser, um sich ein wenig zu fangen. Sie zitterte so stark, dass sie ein bisschen Wasser auf die Wollmütze in ihrem Schoß verschüttete. Sie starrte darauf und schluckte dann.
»Geht’s?«, fragte Vater Michael Josephs Bruder.
Sie nickte. »Ja, es geht schon.«
»Glauben Sie, dass er Sie gesehen hat?«, fragte Dane.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin unter die Bank gerutscht, und dort war es stockdunkel. Nein, er hat mich nicht gesehen. «
»Also gut, dann erzählen Sie uns den Rest«, forderte Delion sie auf.
»Als ich den Schuss hörte, habe ich mich sofort unter die Bank geduckt. Ich hatte schreckliche Angst, dass er mich sieht, wenn er rauskommt, und mich erschießt. Er hat sich umgeschaut, aber wie gesagt, ich bin mir sicher, dass er mich nicht gesehen hat. Ich hab gesehen, wie er den Schalldämpfer abgeschraubt hat - er tat das rasch und geschickt, wie ein Profi -, und dann Schalldämpfer und Pistole in seinen Manteltaschen verschwinden ließ. Dann hat er was ganz Komisches gemacht, und das hat mich fast zu Tode erschreckt. Er hat die Pistole noch mal rausgeholt und sie in der Hand behalten, dicht am Mantel. Dann ist er gegangen. Ich glaube, ich habe ihn pfeifen hören.
Ich habe mich lange nicht gerührt, ich konnte einfach nicht. Ich hatte zu viel Angst, er könnte draußen warten, um zu sehen, ob noch jemand rauskommt, und mich dann erschießen, so schnell und skrupellos, wie er Vater Michael Joseph erschossen hat.
Schließlich bin ich dann zum Beichtstuhl gegangen.« Sie schluckte und schloss kurz die Augen. »Ich habe Vater Michaeljosephs Gesicht gesehen. Seine Augen standen weit offen, und es war klar, dass er tot war. O Gott, er hatte so wunderschöne Augen, so dunkel und voller Güte, er hat so viel mit ihnen gesehen. Aber jetzt waren seine Augen
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