Denen man nicht vergibt
leer, und auf seiner Stirn war ein kleines rotes Loch. Es sah so harmlos aus, so belanglos, aber er war tot. Und da war noch was Seltsames an der Art, wie er aussah. Es war nicht Angst oder Entsetzen, wie bei jemandem, der weiß, dass er gleich sterben wird; nein, es war was anderes. Er hat irgendwie froh ausgesehen. Wie ist das möglich? Um Gottes willen, worüber sollte er denn froh sein?«
»Froh«, sagte Delion. »Sehr seltsam. Sind Sie sicher?«
Sie nickte. »Oder als wäre er endlich zufrieden wegen etwas. Irgend so was. Tut mir Leid.«
»Gut, fahren Sie fort.«
»Dann hörte ich jemanden aus der Sakristei kommen, links von mir. Mir blieb fast das Herz stehen. Mein Gott, ich dachte, der Mörder wäre zurückgekommen. Ich dachte, er hätte mich gesehen, weil ich unter der Bank hervorgekommen bin. Er würde wissen, dass ich gesehen hatte, wie er Vater Michael Joseph umgebracht hat, er würde glauben, ich könnte ihn identifizieren, und jetzt war er zurückgekommen, um mich auch zu töten.
Ich bin, so schnell ich konnte, weggerannt, zur Seitentür, hab den Riegel angehoben und bin ganz leise rausgeschlüpft. Da habe ich dann gewartet, mir kam’s wie eine Ewigkeit vor, aber ich habe nichts mehr gehört oder gesehen. Dann bin ich losgerannt, zur nächsten Telefonzelle.«
»Und wo sind Sie danach hingegangen?«, fragte Delion.
»Zurück ins Obdachlosenheim in der Ellis, Nähe Webster, das Christ Shelter.«
» Das ist ganz schön weit weg von St. Bartholomäus «, meinte Delion.
»Ja, schon. Vater Michael Joseph war oft dort und hat sich um die Leute, die dort leben, gekümmert. Dort habe ich ihn auch kennen gelernt. Er, äh, er hat sich sehr fürs Mittelalter interessiert, besonders fürs dreizehnte Jahrhundert. Edward der Erste war sein Held.«
»Ach, Sie wissen davon«, sagte Dane und merkte, wie ihm die Stimme versagte. Er schluckte, denn er wusste, dass ihn die anderen ansahen. »Das Mittelalter war sein ganz besonderes Steckenpferd. Ich selbst konnte Daten noch nie im Kopf behalten, Michael schon. Ich weiß noch, wie er mich immer voll gequatscht hat über die Kreuzzüge, besonders den von Edward.«
»Das ist ja gut und schön«, warf Delion ein, »aber könnten wir aufs Thema zurückkommen?« Er sah, wie Dane sich einen Ruck gab, und tätschelte sanft seine Schulter.
»Sind Sie ganz sicher, dass Sie nicht mehr gesehen haben?«, fragte Delion. »Irgendwas?«
»Nein, tut mir Leid. Der Mann war im Beichtstuhl, als er Vater Michael Joseph erschoss. Es war richtig dunkel in der Kirche, nur noch ganz schwaches Licht. Es war ja auch schon Mitternacht.«
Dane nickte.
»Ja, es tut mir wirklich Leid, aber ich kann mich nur vage an den Mann erinnern. Der Trenchcoat, die schwarzen Haare, tja, das wär’s.«
Dane sagte wie beiläufig: »Tun Sie mir doch bitte einen Gefallen. Machen Sie einen Moment die Augen zu, und stellen Sie sich vor, Sie stehen in der Kirche. Sehen Sie dieses unglaubliche Buntglasfenster mit der Krippenszene? Es ist gleich hinter dem Beichtstuhl.«
»Ja, ja, ich sehe es vor mir. Ich habe es oft angeschaut und mich gefragt, wie es möglich ist, dass man sich beim Anblick eines Glasbilds derart bewusst werden kann, wie schön es ist, einfach zu sein, zu leben.«
Ja, dachte er zufrieden, sie kennt das Fenster sehr gut. Er sagte: »Ich habe es gestern zum ersten Mal gesehen. Ich habe hinaufgeschaut und mich von den Farben durchdringen lassen. Irgendwie fühlte ich mich etwas nahe, das größer ist als ich, etwas tief in mir, das mir sonst kaum bewusst ist, etwas sehr Mächtiges.«
»Ja, genau das ist es.«
»Ich kann mir vorstellen, dass dieses Fenster, selbst wenn es dunkel ist, wenn es Mitternacht ist, immer noch leuchtet, wenn nur der kleinste Lichtstrahl darauf fällt. Und dann wäre es nicht mehr ganz so dunkel in der Kirche, die Finsternis bekäme eine Art Glanz, einen überirdischen Glanz, wie aus weiter Ferne. Können Sie das vor sich sehen?«
»Ja«, sagte sie mit geschlossenen Augen, »ja, sehr gut sogar.«
Dane beugte sich vor, die Hände zwischen die Knie geschoben, und sagte jetzt leise, seine Stimme ein honigwarmes Streicheln: »Sie haben das Gefühl, in diesem Licht zu baden, und Sie fühlen sich warm und sicher. Sie können jetzt alles viel deutlicher sehen.«
»Ja, mir ist gar nicht aufgefallen, wie herrlich es ist.«
»In welcher Hand hielt er die Waffe?«
»In der Rechten.«
»Also hat er den Schalldämpfer mit der Linken abgeschraubt?«
»Ja.«
»War er noch
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