Denk an unsere Liebe
Gesellschaftsleben, fühlte, sie war tatsächlich kein Privatmensch mehr. Ihr Herz war im Krankenhaus, bei den Patienten. Sie gehörte ins Krankenhaus. Da war sie daheim. Da blühte ihr Lächeln auf, da empfingen die Patienten sie mit Dankbarkeit, da hatte sie Verwendung für alle ihre besten menschlichen Eigenschaften.
Und trotzdem. Sie hatte doch Eivind lieb. Hatte ihn schrecklich lieb. Aber es war, als ob diese Liebe ihre Lebenskraft verloren hätte. Toni war müde.
Die Liebe selbst war müde.
Toni graute es vor der Auseinandersetzung, die sie nach diesem Abend erwartete.
Aber Eivind war schweigsam. Kein Wort auf der Heimfahrt im Taxi und kein Wort, als sie sich entkleideten und zu Bett gingen. Nur ein kurzes „Gute Nacht“. Dann drehte er das Licht ab, und alles wurde still.
Es war eine schlimme Zeit, die nun folgte. Eivinds Stummheit konnte ja nicht ewig dauern. Aber das, wovon sie sprachen, waren unpersönliche und gleichgültige Dinge. Toni freute sich nicht mehr darauf, heimzukommen. Sie wurde nicht mehr von einem frohen, verliebten Mann im Vorraum begrüßt. Sie wurde nicht mit liebevollen, munter neckenden Worten empfangen. Eivind war höflich und zwischendurch freundlich, auf eine unpersönliche Art. Und ab und zu kamen kleine bissige Bemerkungen. Die Kluft zwischen ihnen wurde tiefer und tiefer.
„Wollen wir Spazierengehen, Toni? Es ist so schönes Sonntagswetter. “
„Ich kann nicht, Eivind. Ich muß um elf mit dem Schärenboot fort. Aber vielleicht hast du Lust mitzukommen?“
„Was in aller Welt sollst du auf dem Schärenboot?“
„Ich muß nach Holmefjord fahren. Weißt du, ich habe eine Patientin, der ich helfen muß. Und vor allem muß ich mit ihrer Familie reden. Weißt du, wenn sie heimkommt, hängt es von dem Mann und den Kindern ab, ob sie sich gesund erhalten kann…“
„Ich verstehe“, sagte Eivind, und seine Stimme war eiskalt. „Selbstverständlich bedeutet ein Ehemann nichts im Vergleich zu einer Patientin von Holmefjord.“
Das schmerzte Toni. Verstand Eivind denn nicht, was diese Fahrt zu bedeuten hatte? Vielleicht konnte sie ein Menschenleben retten, wenn sie mit dieser Familie sprach. Hatte sie das Recht, sich dem zu entziehen, um einen Sonntagsspaziergang mit ihrem Mann zu machen?
„Ich fürchte, das Essen ist kalt geworden, Toni. Entschuldige, daß ich gegessen habe. Es ist über fünf.“
„Ich konnte nicht früher kommen, Eivind. Ich komme von einem schrecklich traurigen Krankenbett…“
„Ach so. Einem Sterbebett?“
„Wenn es nur das wäre, hätte ich beinahe gesagt. Nein, es handelt sich um einen jungen Mann, der vielleicht noch viele, viele Jahre leben wird.“
„Da hätte vielleicht diese wichtige Unterredung bis morgen warten können?“
„Das konnte sie nicht. Der Mann brauchte mich heute. Du, Eivind, das ist ein bildschöner Mann von fünfundzwanzig Jahren.“
„Ja, da kann ich verstehen, daß du bleiben mußtest“, sagte Eivind. Toni blickte ihn an – die Antwort konnte ein Spaß gewesen sein. Eivinds Gesicht war verbissen und ernst.
„Jeder würde es nötig haben, sich in so einem Fall auszusprechen“, sagte Toni. „Sie war noch erfüllt von dem Unglück des jungen Mannes. Kannst du verstehen, was das für einen jungen Mann bedeutet – er ist noch dazu Schauspieler und man hatte ihm eine große Zukunft beim Film prophezeit –, und heute hat er erfahren, daß er Akromegalie hat, wenn du weißt, was das bedeutet? Nein, du weißt es nicht. Eine Krankheit, die ihren unabwendbaren Gang nimmt. Das Gesicht wächst und wächst und wird lang und plump und unnatürlich groß, die Hände und Füße werden unförmige Pranken. Leider unheilbar. Und unglücklicherweise weiß dieser Mann Bescheid um diese Krankheit, er weiß, wie sie sich entwickelt…“
„… aber, wenn er mit dir bloß eine Stunde sprechen kann, so bekommt er gleich wieder Lebensmut und erwartet voll Spannung und Interesse, daß sein Gesicht riesengroß werden wird?“
„Eivind!“ Tonis Stimme zitterte, „jetzt bist du roh!“
Eivind drehte sich auf dem Absatz um und ging hinaus.
Toni mußte all ihre Selbstbeherrschung aufbieten, um die Tränen zurückzuhalten. Der Eindruck von dem Krankenlager des unglücklichen jungen Mannes haftete in ihr, und Eivinds vollständiger Mangel an Verständnis empörte sie so, daß sie hätte heulen können.
Eivind blieb eine Stunde weg.
Toni saß in sich zusammengesunken vor dem Kamin, müde, mutlos, einsam.
Dann ging die Tür,
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