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Denk an unsere Liebe

Denk an unsere Liebe

Titel: Denk an unsere Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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Menschen freuen?“
    Ingenieur Wolter hatte recht. Sie war ganz eingefangen von der Krankenhausatmosphäre. Alle ihre Kräfte wurden davon verzehrt. Als Privat- und Gesellschaftsmensch war sie nicht mehr brauchbar.
    Mit einemmal richtete sie sich auf. Das durfte nicht geschehen. Sie mußte sich zusammennehmen. Sie war doch in ihrer Studienzeit immer „die muntre Toni Bang“ gewesen! Der Eulenspiegel unter den Kameraden, ein Sportsmädel, immer aufgelegt zu Spaß und Narretei. Was war aus ihrer Munterkeit und Lebenslust geworden? War das alles in anderer Leute Sorgen und Krankheiten untergegangen?
    „Sitzen Sie hier allein, Frau Löngard? Sie Ärmste, Sie sind müde? Sie waren ja auch heute abend im Krankenhaus, wie Ihr Mann erzählte.“
    Es war die Gastgeberin, die sich zu Toni setzte und versuchte, ein Gespräch anzuknüpfen.
    „Ja, es hat mir so schrecklich leid getan – aber was soll man machen, wenn man an ein Sterbebett gerufen wird.“
    „Nein, natürlich, meine Liebe. Aber, ich sagte es schon zu Ihrem Mann, es muß ihm ja vorkommen, als ob er mit einer Ärztin verheiratet wäre! – Was für einen schönen Halsschmuck Sie haben, Frau Löngard! Darf ich ihn näher ansehen? Ich interessiere mich so für alte Goldschmiedearbeiten.“
    Es glückte der Gastgeberin, Toni in einen Kreis von Damen hineinzuziehen. Sie redeten von Kleidern, Schmuck, Kochrezepten und Kindererziehung.
    Und von gesunden Kindern ging das Gespräch über auf kranke Kinder und von kranken Kindern zum Krankenhaus.
    Toni hörte mit halbem Ohr zu.
    „Ja, darüber müssen Sie doch mitreden können, Frau Löngard, Sie haben doch sicher viel mit Kindern zu tun! Ach, die Armen, es ist ja arg, sie verstehen nicht, warum sie von Vater und Mutter genommen und in einem großen fremden Saal ins Bett gesteckt werden…“
    „Für viele ist es direkt eine Erziehung, in einen Krankenhaussaal zu kommen“, sagte Toni. „Neurotische und appetitlose Kinder zum Beispiel lernen essen, wenn sie die anderen sehen, verwöhnte Kinder werden umgänglich, diszipliniert, und das Heimweh ist nicht so groß, wie man glaubt.“
    „Und sie bekommen ja Besuch von ihren Müttern jeden Tag, das ist ein Trost“, meinte eine Dame.
    „Na, leider, Mütterbesuche sind nicht immer gut“, sagte Toni. „Unvernünftige Mütter bejammern die Kleinen so, daß sie vor Mitleid mit sich selbst zu heulen anfangen. Das Fieber steigt, und das Allgemeinbefinden wird oft verschlechtert nach solchen Besuchen.“
    „Nein, was sagen Sie da, Frau Löngard…“
    „Das ist eine Tatsache.“ Toni sprach mit Eifer, sie war tags zuvor im Kindersaal gewesen, und eine der Stationsschwestern hatte ihre Not geklagt. „Nicht zu reden von der Arbeit, die die Schwestern nach diesen Besuchen haben. Die Betten müssen förmlich durchwühlt werden nach unerlaubt mitgebrachten Geschenken und Näschereien.“
    „Ja, was soll denn das heißen? Ist dem armen Würmchen nicht die kleine Abwechslung gegönnt, die so ein Mitbringsel bedeutet? Man kann doch nicht mit leeren Händen zu seinem Kind kommen?“
    „So würden Sie nicht reden, wenn Sie einmal ein zuckerkrankes Kind im Koma gesehen hätten, nach unerlaubt mitgebrachter Schokolade“, ereiferte sich Toni. Nun war ihre Stimme hitzig. Sie war müde und abgekämpft, nervös – und sie vergaß, ihre Worte abzuwägen.
    „Tatsache ist, daß die Besuche oft mancherlei Komplikationen mit sich bringen“, fuhr sie fort. „Nach der Meinung vieler Einsichtiger sollten Elternbesuche auf der Kinderstation überhaupt verboten werden.“ Tonis Ton war entschieden zu sachlich.
    Ein Chor von Protesten erhob sich, Proteste, denen entgegenzutreten Toni zu müde war. Sie hörte die gewandte konventionelle Stimme der Gastgeberin, die mit unveränderter Freundlichkeit zu vermitteln versuchte und das Ganze als einen Spaß abtun wollte. Und mit einemmal sah sie Eivinds Augen. Eivinds Augen mit einem enttäuschten, betrübten und zugleich verärgerten Ausdruck. Er hatte sich darauf gefreut, daß die ganze Gesellschaft von seiner süßen, amüsanten, schlagfertigen Frau bezaubert sein sollte. Statt dessen war die Gesellschaft schockiert über die blasse, müde und belehrende Berufsfrau, die die Mütter unter ihnen beleidigte und die von kranken Kindern mit jener nüchternen Sachlichkeit sprach, wie nur die kinderlose Frau sie hat.
    Toni sah seine Augen und wußte auf einmal, daß sie sich unmöglich gemacht hatte. Sie wußte, daß sie ungeeignet war für das

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