Denk an unsere Liebe
Blaufuchscape lag auf einem Stuhl vor dem Kamin, mit dem Futter nach außen, so daß es angewärmt wurde, bis sie nachher die Treppe zum Taxi hinunterlief.
Eivind war in Hemdsärmeln, er war fertig, brauchte nur noch den Smoking anzuziehen und dann ein Taxi anzurufen.
„Ich kann nicht, Eivind. Ich kann nicht. Verstehst du nicht, er ist ganz allein in der Stadt. Er liegt und kämpft mit dem Tod, sein Sohn ist noch nicht gekommen, verstehst du nicht, man kann einen Menschen nicht allein sterben lassen.“
„Toni, hör mal zu. Du bist nicht der einzige Mensch, der bei ihm sein kann. Es gibt doch Schwestern in diesem großen Krankenhaus. Die lassen ihn schon nicht allein liegen.“
„Herrgott, Eivind, wenn du da lägst und sterben solltest, und es gäbe einen Menschen, mit dem du reden könntest und wolltest, was würdest du wohl sagen, wenn du Bescheid bekämst, daß dieser eine Mensch nicht kommen könne, weil er auf eine Gesellschaft ging?“
„Ich würde kein Wort verlieren, wenn es nicht gerade diese Gesellschaft wäre. Der Chef gibt sie mir zu Ehren, und ich weiß, daß du ihn als Tischherrn haben sollst. Verstehst du denn nicht, daß dies nicht geht, Toni? Das ist eine Beleidigung für den Direktor. Diese Gesellschaft ist kein Vergnügen, sie ist eine sonnenklare Pflicht gegenüber deinem Mann.“
„Eivind, du sollst nicht sterben.“
Toni nahm den Morgenrock ab und zog ihr Werktagskleid an.
„Aber Toni, Toni! Ich bitte dich darum. Begreifst du denn gar nicht, wie viel es für mich bedeutet.“
„Ach Eivind…“ Plötzlich mußte sie ein paar Tränen verschlucken. Sie schloß die Augen und dachte einen Augenblick nach. Sie sah den alten Mann vor sich, bei dem sie am Vormittag gesessen hatte. Er hatte reden müssen, er fühlte, daß der Tod nahte, und unaufhörlich hatte er geflüstert: „Wenn nur Johann noch kommt, wenn nur Johann noch kommt… Ich muß mit Johann reden… Ich kann nicht sterben, ehe ich mit Johann gesprochen habe…“
Toni war anfangs zu ihm gerufen worden, weil er dringend einen Brief an seinen Johann zu schreiben hatte, und seither hatte sie den alten Mann jeden Tag besucht. Gestern war sein Zustand bedenklich geworden. Heute war es sicher, daß er nicht viele Tage, vielleicht kaum noch Stunden zu leben hatte.
Die Angst in seinen Augen verfolgte Toni. Sie hatte an seinem Bett gesessen, seine Hand gehalten und auf sein angestrengtes Geflüster gelauscht.
„Ich muß mit Johann reden…“
„Er hat einen langen Weg, weißt du, zwei Tagesreisen“, hatte Toni gesagt.
„Ich, ich weiß es, ich weiß es. Und vielleicht ist er auf See. Aber ich muß mit Johann reden…“
„Könntest du nicht mit mir reden?“ hatte Toni gefragt.
Und da hatte der Alte sie lange angeblickt.
„Ja, Schwester. Wenn Johann nicht rechtzeitig kommt, dann muß ich mit dir reden. Und du mußt es Johann sagen. Versprichst du mir das?“
„Das verspreche ich dir.“
Dann hatte der Alte zur Beruhigung eine Spritze bekommen, und Toni war heimgegangen. Und nun, drei, vier Stunden später, zehn Minuten bevor sie mit Eivind in diese Gesellschaft gehen sollte, die so viel für ihn bedeutete, da erhielt sie telefonischen Bescheid vom Krankenhaus. Mit dem Patienten stand es zusehends viel schlechter, und er würde wohl kaum die Nacht überleben. Und er lag da und rief nach ihr. „Ich kann nicht, Eivind.“
Die Tränen strömten nun über ihr Gesicht, während sie die soliden Straßenschuhe und den Ulster anzog.
Dann telefonierte sie nach einem Taxi.
„Bestelle zwei“, sagte Eivind, und seine Stimme war hart wie Metall. „Ich will jedenfalls nicht zu spät zum Chef kommen.“
Kurz darauf standen die beiden Wagen vor der Tür.
Er zog hitzig seinen Mantel an, ergriff den für die Frau des Direktors bestimmten Blumenstrauß und stieg in das eine Taxi, Toni stieg in das andere. Und so fuhr jeder seinen eigenen Weg.
Eine Stunde später kam Toni zurück. Sie hatte es geschafft, sie war noch rechtzeitig gekommen. Der alte sterbende Freund hatte ihr noch alles zugeflüstert, was sie dem Sohn sagen sollte – und dann hatte er sein Leben ausgeatmet, mit Tonis Hand in der seinen.
Die feierliche Stimmung von dem stillen Totenbett klang noch in Toni nach. Sie fühlte noch den Druck der verarbeiteten Hand, sie hörte die geflüsterten Worte im Ohr. Es war nicht das erstemal, daß sie einen Menschen hatte sterben sehen. Aber es war das schönste Totenbett, das sie erlebt hatte.
Das Taxi hielt. Sie war
Weitere Kostenlose Bücher