Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben
›Gehirn‹) einer Dressur zu unterwerfen,
als Voraussetzung dafür, dass man sie wieder in die Gesellschaft entlässt.« 19 Genau davor warnt Petra Gehring. Sie tut es aber wie auch in anderen Fällen nicht durch einen Gegenentwurf. Sie führt auch
nicht eine bestimmte Ethik ins Feld, argumentiert nicht in moralischen Kategorien. Ihre Arbeit ist nicht frontal ausgerichtet,
sondern versteht sich weit eher als ein »indirektes« Vorgehen: »Kein Essenzialismus des Lebens, keine Natur, keine Moderation
durch Ethik. Was stattdessen bleibt, wäre so etwas wie eine indirekte Arbeit der Kritik – auf dem Wege von phänomenologischen,
historisch-vergleichenden und dabei machttheoretisch grundierten Bewegungen der Rückfrage und Beschreibung.« 20
Philosophie sucht bei dieser Philosophin nicht mehr nach dem »Wesen« einer Sache, sie bewegt sich nicht in zwei Welten, einer
eigentlichen und einer uneigentlichen, einer wahren und einer falschen. Ihre Philosophie geht vielmehr aus von einem klaren
Blick auf Tatsächliches und untersucht die Vorgeschichte dessen, was sich ihr augenscheinlich darbietet. Erkenntnisse stellen
sich dabei, wie immer in der Philosophiegeschichte, auch unvermutet ein. Das kritische Potenzial der Philosophie wird bei
Petra Gehring hervorragend sichtbar. Dass sie sich den immer wieder aufflammenden und sich hartnäckig haltenden Ethikdebatten
eher verschließt, wird damit verständlich. »Ethikdebatten lassen distanzierte, etwa historisch vergleichende, wissenschafts-
oder auch mediensoziologischePerspektiven nicht zu.« 21 Sätze wie dieser finden sich in einem Vortrag, den Gehring 2006 bei einem Symposium über Hirnforschung gehalten hat. Sie
betont auch hier wieder die Komplexität des Gehirns, die einen vereinfachenden Blick nicht zulässt und mit keiner einzelwissenschaftlichen
Herangehensweise zu fassen ist.
Eine amüsante Variante des Hirnthemas hat Petra Gehring in ihrer Rezension
Das weibliche Gehirn. Die hormonell gesteuerte Gefühlsmaschine
vorgestellt (
FAZ
5. 2. 2007). Die Autorin von
Das weibliche Gehirn
, die amerikanische Neuropsychiaterin Louann Brizendine, ist der Meinung, Frauen sollten sich die neuesten Ergebnisse der
Hirnforschung einverleiben, denn sie könnten sich und ihr Verhalten dadurch besser verstehen. Es sind, Brizendine zufolge,
die Hormone, die das Hirn »fluten« und so Einfluss nehmen auf die Psyche von Mann und Frau. Brizendine erklärt zum Beispiel
die weibliche Liebe wie folgt: »Wie wir heute wissen, ist alles, was uns an dem potentiellen Partner fasziniert, durch die
Evolution des Liebestriebs fest in unserem Gehirn verdrahtet: die bevorzugten Merkmale von Gesicht und Körperbau, die Bewegungen,
von denen wir uns verführen lassen, und die pulssteigernde Anziehungskraft. Die kurz- und langfristige ›Chemie‹ zwischen zwei
Menschen mag zufällig erscheinen, aber in Wirklichkeit ist unser Gehirn von vornherein entsprechend programmiert.« 22 Gehring weist nach, dass Brizendine nicht einmal auf dem neuesten Stand der Forschung ihrer Kollegen ist. »Die Zunft ist
weiter als sie. So kommt beispielsweise der Zürcher Neuropsychologe Lutz Jäncke zu diametral entgegengesetzten Ergebnissen.
Jäncke zog aus, um den kategorialen Unterschied zwischen Mann und Frau zu finden – und fand ihn nicht.« 23
Selbst in der Hirnforschung weiß man inzwischen, welch großen Einfluss Kultur auf die Funktionsweise des Gehirns ausübt.
Brizendine scheue sich nicht, die ungeheure Rolle bestimmter Hormone anzupreisen. Sie werden als Allheilmittel dargestellt.
»Brizendine – das sollte man an dieser Stelle nachtragen – leitet eine ›Women’s Mood and Hormone Clinic‹ in San Francisco.« 24 So liegt der Verdacht nahe, dass es dieser Autorin weniger um seriöse Forschung geht, als um eine Werbekampagne für Hormone.
»Wesentlich interessanter als Brizendines Buch dürften die Reaktionen sein, die es auslösen wird. In den Vereinigten Staaten
soll es sich bereits um einen Bestseller handeln. Ganz gewiss passt es in den naturalistischen Zeitgeist und bietet seinen
Leserinnen eine geschmeidige Mischung aus einer ›neuen Weiblichkeit‹ der besonderen neuronalen Fähigkeiten und alten Geschlechterklischees,
die auf breiter Front bestätigt werden. Männer wie Frauen finden reichlich Munition für Witze jeweils übereinander. Wer sich
über das Buch aber vor allem freuen dürfte, sind Hormonhersteller, Endokrinologen und
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