Denken Sie nicht an einen blauen Elefanten!
Stammhirn gelegen, entscheidet in kürzester Zeit, ob ein Reiz Schaden oder Lust für den Organismus bedeutet. Entscheidet
er, dass ein Reiz gefährlich ist, funkt dieser Teil des Gehirns sofort an zahlreiche andere Hirnstrukturen, die dann eine
Angstreaktion in Gang setzen; der Herzschlag beschleunigt sich, Adrenalin und Noradrenalin schießen ins Blut, damit Energie
freigesetzt wird und der Organismus entweder fliehen oder angreifen kann. Damit uns unsere Angst aber bewusst werden kann,
müssen neben Teilen des Stammhirns auch Großhirnareale aktiviert werden, zum Beispiel der Hippocampus, in dem Gedächtnisinhalte
gespeichert sind. Haben wir beispielsweise eine schlechte Erfahrung mit einem Hund gemacht – vielleicht hat uns in unserer
Kindheit einmal ein großer Schäferhund gebissen –, ist diese Erfahrung dort gespeichert und kann in ähnlichen Situationen abgerufen und mit dem aktuellen Geschehen verglichen
werden. Dann fühlen wir beim Anblick eines Hundes Angst, und unser Körper |134| reagiert mit Fluchtsymptomen. Wir wissen aber auch ganz genau, dass wir uns gerade fürchten. Vielleicht wissen wir sogar,
dass dieser spezielle Hund uns wahrscheinlich nicht beißen wird, und kontrollieren unsere Angst durch bewusste Beruhigung;
trotzdem können wir uns der reflexartigen Angstreaktion gewöhnlich nicht erwehren.
An positiven wie an negativen Emotionen sind neben dem Mandelkern eine Vielzahl weiterer Hirnareale beteiligt. Interessant
ist, dass bei positiven Emotionen der Nucleus accumbens besonders aktiv ist. Dieses Gebiet liegt im sogenannten Verstärkersystem
des Gehirns und dient dort als zentrale Schaltstelle. Belohnung kommt also höchstwahrscheinlich aus dieser Hirnregion, die,
so haben Forscher im Tier- und Humanversuch festgestellt, ebenfalls eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung von Süchten
spielt.
In allen Gefühlsfällen kommt es also auf die Erfahrung an, die ein Individuum gemacht hat oder die ihm von seinen Mitmenschen
beigebracht wurde, wobei die Erfahrung aus zweiter Hand nicht so gut «wirkt» wie die eigene. Bei positiven Erfahrungen belohnt
sich das Gehirn selbst und behält das Ereignis als angenehm in Erinnerung. Bei Erfahrungen, die schmerzhaft waren, speichern
Nervenzellen der Amygdala die dazugehörigen Sinneseindrücke als «gefährlich und zu vermeiden» ab. Allerdings sind es auch
bei den Emotionen (ob einfach oder komplex) stets mehrere Hirnregionen, die zusammenwirken. Vor allem präfrontale Teile der
Hirnrinde, die an höheren Prozessen wie Handlungsplanung, Verhaltenskoordination und Steuerung sozialer Interaktion beteiligt
sind, spielen eine entscheidende Rolle, wenn uns fröhlich oder traurig, wütend oder friedfertig zumute ist. Diese Prozesse
wiederum wirken ebenfalls bei jedem ein wenig anders zusammen, weswegen die Behandlung und Heilung zum Beispiel von Angsterkrankungen
und anderen emotionalen Störungen einer individuellen und mitunter sehr differenzierten Therapie bedürfen.
|135| i Ich fühle, also bin ich
Lange Zeit war René Descartes’ . (1596 – 1650) Diktum «Ich denke, also bin ich» in Stein gemeißelt. Der Mensch als intelligenz- und vernunftbegabtes Wesen verstand
und versteht sich bis heute als bewusst denkendes und nach diesen Maßstäben bewusst und weitgehend frei handelndes Wesen.
Emotionen gelten dabei häufig immer noch als hinderlich und sogar überflüssig. Doch mittlerweile wissen wir: Emotionen, verstanden
als körperliche Reaktionen, sind lebenswichtig. Sie gefährden nicht etwa unsere rationalen Fähigkeiten; nach Antonio Damasio,
einem portugiesischen Neurowissenschaftler, ermöglichen sie diese sogar erst. An tragischen Beispielen von Patienten, die
durch Unfälle oder Erkrankungen zu Emotionen nicht mehr fähig waren, weist Damasio nach, dass ein Gehirn, das bei der Berechnung
einer Situation die Größe «Gefühl» nicht mehr zur Verfügung hat, nicht etwa besonders rationale, sondern völlig unangemessene
Entscheidungen trifft. Ein Mensch ohne Emotionen ist seiner Meinung nach kein Mensch mehr und als solcher auch kaum mehr lebensfähig.
Denn unsere Emotionen lassen uns spüren, was gut und was schlecht für uns ist, und helfen uns, unser Handeln in die richtige
Richtung zu lenken.
i An der Quelle der Emotionen
Wir haben schon erwähnt, dass alle Bereiche menschlichen Verhaltens – Gedanken und Gefühle – nicht in einer Hirnregion lokalisiert
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