Denn das Glueck ist eine Reise
Charles«, sagte Georges, der plötzlich etwas empfindlich zu sein schien. »Legst du jetzt ab, oder hältst du uns einen Vortrag über moderne Technik? Schön, wenn schon morgen wäre, dann wüsste ich, ob wir heute noch weitergespielt haben ...«
»Wie schon gesagt«, fuhr Ginette fort, »hab ich auch ein Handy, und ich finde das richtig gut.«
»Na klar!«, rief Georges. »Hab ich’s nicht gesagt! Die Weiber hängen immer an der Strippe!«
»Nein, ganz und gar nicht. Der Beweis ist, dass ich mit einem Guthaben für eine Stunde Telefonieren pro Monat auskomme. Pro Monat! «
»Pah, das ist schon viel zu viel.«
»Also ich finde, wie soll ich sagen, man ist irgendwie freier. Ich unternehme viel mehr, seitdem ich mein Handy habe.«
»Was denn?«, spottete Charles. »Hast du früher wie eine Nonne gelebt?«
»Nein, aber ich finde, man ist den Leuten näher.«
»Näher, näher«, wiederholte Georges. »Also ich lebe auf dem Lande, damit mir niemand auf die Nerven geht. Den Leuten näher sein ... also wirklich!«
»Georges«, stellte Charles klar. »Du lebst seit dreiundachtzig Jahren auf dem Lande. Es ist doch nicht so, als hättest du dir das ausgesucht.«
»Nein, aber wenn ich hätte wählen können, hätte ich genau den Ort ausgewählt, wo ich wohne. Damit mir niemand auf die Nerven geht!«
Keiner von ihnen hatte gute Karten, und allmählich spürten alle ihre Müdigkeit. Niemand legte mehr ab, und alle gähnten. Schließlich wurde Ginette zur Siegerin erklärt und die Spielunterlage in die mit Krimskrams überladene Kommode gelegt. Es wurde Zeit, die Koffer auszupacken und die gebügelten Pyjamas herauszunehmen.
Ginette hatte ein großes Haus, doch sie bewohnte nur einen Teil davon. Den Rest vermietete sie im Sommer an zwei Familien, die seit Jahren den Urlaub bei ihr verbrachten. Sie hatte genügend Gästezimmer, und so bekamen Charles und Georges beide ihr eigenes Zimmer.
Georges richtete sich in seinem Zimmer ein, einem kleinen Raum, der ganz nach seinem Geschmack war: Auf dem Bett sah er eine Nackenrolle, wie er sie liebte, und einen Überwurf aus brauner Chenille. Er öffnete den Kleiderschrank − er roch angenehm nach Mottenkugeln. Er setzte sich auf sein Bett − die Matratze schien ihm von guter Qualität zu sein. Es war nämlich so, dass er sich auf dieser verrückten Abenteuerreise am meisten Sorgen um die Betten und besonders um die Matratzen machte. Gegen Lärm und Mücken hatte er vorgesorgt und Ohrstöpsel und Zitronenöl eingepackt, aber mit den Betten, das war echte Glücksache. Nachdem Georges sich im Badezimmer, das er mit Charles teilte, gründlich gewaschen hatte, zog er seine Pantoffeln aus, streckte sich langsam auf dem Bett aus und seufzte tief. Die Matratze war wirklich gut. Er nahm sein Buch, einen Thriller von Mary Higgings Clark, aber er war mit den Gedanken nicht dabei. Es flüsterte, summte, surrte, trällerte, quasselte ... Kurzum, sein Kopf hatte ihm etwas zu sagen. Georges musste sich den Tatsachen stellen: Er hatte doch tatsächlich einen Anfall von Optimismus.
Er fühlte sich verdammt wohl. Das Bett war wie für ihn geschaffen, und hier herrschte eine Stille − genau wie bei ihm zu Hause. Er hörte nur ein ganz leises Rauschen, wenn er sich stark konzentrierte. Der Wind in den Pinien oder der Atlantik? Vielleicht auch seine Einbildung. Die geometrischen Figuren auf der Tapete in verschiedenen Beigetönen beruhigten ihn und hypnotisierten ihn fast. Das Mittagessen und das Abendessen hatten ausgezeichnet geschmeckt, ohne übertrieben aufwendig gewesen zu sein. Wenn es ums Essen ging, ertrug Georges keine Übertreibungen. Bei vielen anderen Dingen übrigens auch nicht, wenn er genau überlegte. Es schienen beides ganz einfache Gerichte gewesen zu sein, als hätte Ginette sich keine besonders große Mühe gegeben, um sie zuzubereiten. Aber nach fünfzig Jahren Ehe wusste er, dass sie mit Sicherheit den ganzen Vormittag in der Küche zugebracht und vielleicht sogar gestern schon mit den Vorbereitungen begonnen hatte. Ob sie wohl oft solche Gerichte zubereitete, ganz einfache Gerichte, wie er sie liebte?
Er würde Ginette gerne noch einmal besuchen. Würde sie ihn noch einmal einladen? Könnten sie nicht einen Tag länger bleiben und sich den Zwischenstopp in Gâvres sparen? Es reizte ihn nicht, den Tag mit der Cousine Odette zu verbringen. Er kannte sie nicht, und das war ihm auch herzlich egal. Sie schien nämlich nicht einfach zu sein. Außerdem war sie wie ein
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