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Depeche Mode

Depeche Mode

Titel: Depeche Mode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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Verstehst du, als wir noch in der Schule waren, haben mein Bruder und ich einen Kulturpalast ausgeräumt, einen kleinen. Die Technik rausgeschleppt.
    – Wozu?
    – Keine Ahnung, einfach so – wir hatten irgendwie Bock, also beschlossen wir, was zu klauen. Schleppten ein paar Verstärker raus, Zubehör, sogar Teile eines Schlagzeugs, stell dir vor.
    – Und was habt ihr damit gemacht?
    – Verkauft. An einen anderen Kulturpalast. Die Hohlroller haben nicht mal gefragt, wo wir das Zeug her hatten. Im Prinzip haben wir nicht viel verlangt, also Quatsch nachzufragen. Haben für das Geld Platten gekauft.
    – Platten?
    – Ja, einen Haufen Vinyl, und der Kerl, der das alles verkaufte, hatte eine echte »Depeche Mode« unterm Ladentisch, stell dir vor, die hatten gerade ihr Live-Album rausgebracht. »101« hieß es. Haben richtig geblecht dafür.
    – Echt?
    – Klar. Und weißt du, was das Witzige an der Sache ist?
    – Was?
    – Es war überhaupt das einzige, was mein Bruder und ich jemals ZUSAMMEN gekauft haben.
     
    11.35
    Scheiße, was tun, also ich würde ihn nicht suchen. Wozu braucht er das, und der Verstorbene – wozu braucht der es, der brauchte ihn schon nicht, als er noch lebte, und jetzt – überhaupt, der ist jetzt irgendwo auf dem Weg in sein Walhalla, humpelt auf seinem einen Bein durch die kosmische Finsternis, und nur die Engel am Straßenrand salutieren ihm, legen ihre im Kampf verstümmelten oberen Extremitäten an die Mütze, der Verstorbene kommt natürlich ins Paradies für Invaliden, bestimmt gibt es dort so eine Abteilung, man läßt sie doch nicht alle durch dasselbe Tor, obwohl – keine Ahnung. Wirklich, keine Ahnung, vielleicht sammeln ja magere, schlaksige Engel in SS-Helmen und mit gezückter Schmeißer Gesunde und Invaliden vor einem riesigen, prunkvollen Tor, auf dem in Rodtschenko-Schrift »Arbeit macht frei« steht, treiben sie zusammen, wer fliehen will, wird einfach erschossen und auf die nächste Wolke entsorgt, schließlich kommt der heilige Petrus heraus, ein Kasperl mit großem goldenen Schlüssel, öffnet das Tor, und die Engel treiben die Massen hinein, stoßen sie, und erst dort, im Innenhof des verdammten Paradieses, bilden sie Kolonnen und führen sie in unterschiedliche Richtung davon, doch endet jeder Weg unausweichlich in einer großen Gaskammer.
    Der Kerl hat also noch zwei Tage Zeit, um seine Endstation zu erreichen und auf ewig ins Depot zu gehen, vorher gibt er den Engeln seine Waffe ab und erhält von ihnen das große Eiserne Kreuz für Heldentum an der Ostfront. Daß er seine Hirnmasse freiwillig auf dem Küchenfußboden verspritzt hat, bedeutet nichts – manchmal ist es am tugendhaftesten und moralischsten, die Umgebung von der eigenen Anwesenheit zu befreien, keine Frage.
     
    Es gibt einen Stadtteil, direkt hinter dem neuen Zirkus, zwischen Fluß und Eisenbahn, ganze Quadratkilometer eines undurchdringlichen privaten Sektors, hinter dem direkt die Fabriken anfangen, wie soll ich sagen – alte Fabrikvorstädte, im Sommer ist dort überhaupt niemand auf der Straße, weiß nicht, wohin die alle verschwinden, aber man kann Stunden durch Sand und Schotter stapfen und niemanden treffen, wie es dort im Winter aussieht, mag ich mir gar nicht vorstellen. Warum ich das erzähle – dort lebt unser Freund Tschapaj, er wohnt in einer Werkstatt auf dem Gelände einer Fabrik, die Ausrüstung für Bergarbeiter herstellt, also keine Vorschlaghammer oder so, sondern verschiedene Lampen, Lichter – was Bergarbeiter so alles brauchen, Tschapaj erzählt, daß sein Opa diese Fabrik gebaut hat, es liegt also irgendwie in der Familie, Tschapajs Vater hat sich vor ein paar Jahren blöd gesoffen und lebt irgendwo in einer Irrenanstalt, manchmal fährt Tschapaj ihn besuchen und sieht nach dem rechten, bringt frische Wäsche und Zeitungen, richtet Grüße aus vom Brigadier, so ist das, sie wohnten in einer Baracke am Fluß, aber die Baracken wurden mit der Zeit abgerissen, und da Tschapaj-Vater schon in den Achtzigern alle Papiere einschließlich der Urkunden über Großvaters Georgskreuze und Orden der roten Arbeiterflagge versoffen hatte, bot ihnen natürlich niemand eine neue Wohnung an, Tschapaj-Dschunior, der Waisenknabe, ging zum Direktor, der damals noch einer normalen sowjetischen Fabrik vorstand, und bat um Aufnahme ins Arbeitskollektiv, in väterlicher Linie sozusagen, Dynastie und so, Tschapaj fuhr auf so was ab, ich denke, sein Platz im Irrenhaus ist schon gebucht, in einem

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