Depeche Mode
zu zermalmen. Wie werde ich mich mit vierundsechzig fühlen? Werden mich die Kinder der Straßen und Supermärkte genauso hassen, wie ich heute alle hasse, die über vierzig sind und sich schon auf den grünen Hügeln des Lebens verschanzt haben, natürlich auf der Sonnenseite?
Und was werde ich selbst von ihnen halten? Wie geht man am besten mit seiner Hirnmasse um, damit sie am Ende nicht verdirbt und sich in einen Haufen glitschiger Algen verwandelt, die nicht mal mehr zum Essen geeignet sind? Sollte ich das tatsächlich je erfahren, dann wahrscheinlich erst, wenn ich vierundsechzig bin und keine Lust mehr habe, etwas zu ändern. Was passiert nur mit all den Leuten, auch sie haben doch offenbar ganz normal begonnen, gutgelaunte Bewohner unserer Städte und Dörfer, das Leben hat ihnen doch offenbar gefallen, kann doch nicht sein, daß sie von Anfang an dieselben depressiven Wichser waren wie jetzt, mit fünfzig oder sechzig. Wie hat ihre persönliche große Depression begonnen, wo liegen ihre Ursachen? Natürlich kommt es vom Sex, oder vom Sowjetsystem, ich jedenfalls kann mir keine andere Erklärung denken. Ich sehe mir gern alte Alben an, mit Fotos aus den Vierzigern oder Fünfzigern, wo diese Kerle fröhlich und mit kurzgeschorenen Haaren in die Kamera grinsen, in Militär- oder Studentenuniform, mit einfachen und notwendigen Gebrauchsgegenständen in der Hand – Schraubenschlüsseln, Granaten oder allenfalls Flugzeugmodellen – Kinder eines großen Volkes, Fahnenträger, verdammte Scheiße, wohin ist das alles verschwunden, die Sowje hat alles Menschliche aus ihnen herausgepreßt und sie in Fast Food für Uncle Sam verwandelt, das ist es, was ich denke. Ich merke doch, mit wieviel Haß und Abscheu sie ihre eigenen Kinder betrachten, sie jagen sie, fangen sie in den tauben Korridoren unseres grenzenlosen Landes. So ist das.
19.00
Ich stehe vor dem Trolleybus und denke, daß man bei so vielen Türen nie weiß, welche man nehmen soll. Es ist schon der dritte oder der vierte, den ich verpasse, ich kann mich einfach nicht konzentrieren und entscheiden, was tun und warum. Also wohin ich fahren soll und wer dort auf mich wartet. Plötzlich bin ich ganz alleine, ohne Freunde und Bekannte, ohne Lehrer und Erzieher, nur die Passagiere, die hier neben mir im Regen an der Endstation warten, drängeln sich in die Trolleybusse, und ich stehe ihnen dabei anscheinend im Weg. Jedenfalls schauen sie mich unfreundlich an, das merke ich. Aber als ich irgendwann beinahe weiß, was ich will, tauchen in meinem Rücken zwei Gestalten in Regenmänteln mit Schulterklappen auf und führen mich ab, erst will ich in einen leeren Trolleybus springen, aber es ist eindeutig nicht mein Bus und nicht mein Tag – sie fassen mich bei den Armen und zerren mich über den Platz.
19.30
Sieht wie eine Kaserne aus. Und riecht wie eine Kaserne, ja, wonach riecht es hier eigentlich? nach Büchsenfleisch, alle Kasernen riechen nach Büchsenfleisch und Deserteuren, beschissenes Kanonenfutter, danach riecht es hier, genau. In der Glasbude sitzt ein Wachposten mit abgesägter Kalaschnikow, liest Pornohefte und frißt Konserven, holt das Zeugs mit einem Klapplöffel aus der Büchse. Rührt sich nicht, als wir hereinkommen, stellt damit seine Kampferfahrung und eisernen Nerven unter Beweis. Im Korridor hängen ein paar große Lampen, das Licht ist zwar nicht besonders hell, mir aber fließen seit einer halben Stunde die Tränen, ich sehe fast gar nichts, die Lampen blenden mich, ich kann nicht einmal erkennen, was das für Konserven sind, die der Wachposten frißt. Er läßt uns wortlos passieren, sie grüßen sich nicht, was für ein fieses Volk – diese Wachtmeister, fies und humorlos, ganz wie Finnen oder Lappländer. Sie hassen mich, das habe ich gleich gemerkt, schon an der Haltestelle, diese Regenmäntel, nein – bestimmt hassen sie mich, die Nazi-Schweine, sitzen hier, fressen Büchsenfleisch, ich könnte schon daheim sein, wenn diese Lappländer nicht aufgekreuzt wären. Auf den ersten Blick eigentlich ganz in Ordnung, ein paar Jahre älter als ich, unter anderen Umständen hätten wir Freunde werden können, zum Fußball gehen, ins Kino, ich weiß nicht, was Freunde so machen, na ja, die Menschen verderben schnell, kaum daß sie ihre Füße in dienstliche Stinkstiefel stecken, wer weiß, was noch aus ihnen wird, so was nimmt kein gutes Ende, das muß ihnen doch klar sein, diesen Lappländern.
19.15
Also, Bursche, – sagt
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