Depeche Mode
einer, offensichtlich ist er dienstälter oder eifriger. – Entweder gehst du weiter oder wir machen dich kalt. Moment, Moment, – sage ich, – Sie verstehen nicht – mit mir ist alles okay, lassen Sie mich wirklich gehen, aber in die andere Richtung, dort, wo ich sowieso hinwollte. Wohin wolltest du denn? – schreit der Ältere, – du bist in der Tür steckengeblieben, die Leute konnten nicht einsteigen. Echt? – frage ich. – Man hat mich wohl gestoßen. Wer hat dich gestoßen? – schreit er wieder. – Du hast dich unter die Räder geworfen und bist dann in der Tür steckengeblieben. Schon gut, schon gut, – sage ich, – vielleicht sollte ich zurückgehen und es noch mal versuchen? Okay? Und ich versuche tatsächlich, mich aus ihrer Umarmung zu befreien, da aber fangen sie an, mich zu schlagen. Als auch das nichts nützt, holen sie ihre Sprühdosen raus und besprühen mich ausgiebig mit Tränengas, sie selbst wenden sich dabei ab. Mögen den Geruch wohl nicht.
22.30
Mann, verdammte Scheiße – gestern noch hast du aus angeborenem Alkoholismus frohgemut ganz verrückte Dinger gedreht, und plötzlich bist du bereit, alle möglichen Repressalien und Strafaktionen zu billigen, du hängst daheim rum und liest die Kriminalchronik, dabei stehst du aber nicht auf der Seite der in ihrem Wahnsinn ehrlichen Psychopathen, sondern auf der der Stabsgeneräle und Schlägertypen aus den Sonderkommandos, altes reaktionäres Arschloch, das den herben Geruch des Reviers vergessen hat. Genau so beginnt der Faschismus – wer gestern noch an der unsichtbaren Front gekämpft hat, verwandelt sich plötzlich in fetten Nährboden für antihumane Experimente mit Wirklichkeit und Bewußtsein; die erst gestern siegreich von der Front und aus den Schützengräbern heimgekehrt sind, verwandeln sich nach zehn oder fünfzehn Jahren plötzlich in Nazi-Schweine, das ist das größte Geheimnis der Zivilisation, die Gesellschaft frißt sich selbst, sie nimmt zu und versinkt unter dem Gewicht des Silikons, mit dem sie sich aufpumpt.
19.45
– Also, – sagt einer der Faschisten, – leer deine Taschen.
– Ich kann nicht, – sage ich. – Nehmen Sie mir zuerst die Handschellen ab.
– Red keinen Scheiß.
– Nur vorübergehend, ich leere die Taschen und Sie legen sie mir wieder an.
– Klar, wir nehmen sie dir ab, und du machst die Biege. Hol deinen Kram raus, sonst gibt’s eins zwischen die Löffel.
– Sie haben kein Recht, mich zu schlagen, – sage ich zu den Faschisten. – Ich werde meinen Dekan anrufen.
– Wir werden gleich deinen Dekan anrufen, – sagen die Faschisten.
– Nein, er ist mein Dekan, also werde ich ihn anrufen.
– Quatsch nicht rum, – sagen sie.
Irgendwie kommen wir nicht richtig ins Gespräch. Bin gespannt, wo hier die Gaskammer ist, ich kann immer noch nicht richtig sehen. Außerdem verursacht das Gas in Verbindung mit dem von mir getrunkenen Alkohol eine regenbogenähnliche Erscheinung in meinem Kopf.
– Du wirst jetzt fotografiert.
– Wozu denn das noch? – frage ich.
– Zur Erinnerung, – lachen die Faschisten.
– Und wo ist hier die Gaskammer? – frage ich.
– Was? – Sie verstehen nicht.
– Also, die Kammer, – sage ich. – Mit Gas.
– Aha, – sagen sie. – Und mit Heißwasseranschluß. Stets zu Diensten.
Gleich werden sie mich erschießen, – denke ich. – Die Nazi-Schweine. Da betritt ein beleibter Hauptmann den Raum, um die Fünfzig, mit Resten von Gewissen in den Augen und Resten eine Brötchens auf der Uniformjacke. Ich kapiere, daß dies meine letzte Chance ist, und beschließe, mich an ihr festzuklammern. Nicht an der Jacke, natürlich.
23.00
Dann beginnt das Alter, du bist einfach nur leer innen, nichts mehr drin, man hat dich ausgequetscht, ausgepreßt und basta, dann weggeschmissen, sei nur stolz auf deine Prothesen und Medaillen. Wozu warst du eigentlich gut, was hast du die ganze Zeit über gemacht, warum hassen dich alle und warum kannst du es ihnen nicht mal mit gleicher Münze heimzahlen? Wo ist dein Haß? Wo ist dein Zorn? Was ist los mit dir? In was hat dich das System verwandelt? Wie kommt das – du hast doch nicht schlecht angefangen, damals, mit sechzehn oder siebzehn, da warst du doch ein normaler Mensch, nicht total fertig und nicht ganz berechenbar, wieso hast du so abgeloost, wie willst du den Engeln am Checkpoint in die Augen schauen, nachdem du in der eigenen Scheiße verreckt bist, wie willst du ihnen in die
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