Depeche Mode
Taschen gegriffen? – frage ich.
– Ich denke, sie hatten es satt, ihm Tabletten in den Rachen zu schmeißen. Kurz gesagt, am nächsten Tag, schon gegen Abend, haben sie mich gefunden. Zusammen haben wir ihn dann rausgezogen.
– Dann kam er also auf die Intensivstation, nachdem Sie mit ihm fertig waren?
– Was soll das heißen? – Mykola Iwanowytsch wird mißtrauisch, – denkst du etwa, ich hätte ihn geschlagen?
– Nein, überhaupt nicht.
– Ich habe ihn überhaupt niemals geschlagen. Gar keinen Bock drauf. War ganz dehydriert, verstehst du? saß doch fast zwei Tage fest, nur auf Tabletten.
– Wow, – sage ich.
– Ja, – fügt Mykola Iwanowytsch nachdenklich hinzu.
2.05
– Kennst du den etwa?
– Ja, wir sind uns schon mal begegnet.
– Na, du hast ja geile Bekannte.
– Sei froh, daß er uns hat laufen lassen. Sonst säßen wir jetzt in einer Zelle.
– Die letzte Flasche Kognak hat er uns abgenommen. Was machen wir bloß, ganz ohne Kognak?
– Du kriegst doch sowieso Sodbrennen davon.
– Okay, laßt uns endlich irgendwo hinfahren. Ist ja fast, als hätten sie ne Ausgangssperre verhängt, – und Wasja zerrt mich vom Eingang des Reviers weg.
Moment, sage ich, ich muß pullern, später, Wasja wird nervös, kannst später pullern, ich muß, sage ich, gehe um die Ecke des mit Gaskammern gefüllten grauen Gebäudes, und noch bevor ich mein dunkles Geschäft erledigt habe, kommt Mykola Iwanowytsch um die Ecke, rennt irgendwo hin, bemerkt mich aber trotzdem, nickt traurig, ach Junge, sagt er und verschwindet in der Nacht.
2.35
Wir gelangen ohne weitere Zwischenfälle zum Bahnhof, der Taxifahrer rümpft die ganze Zeit die Nase und lüftet den Innenraum, der vollgekotzte Dog regt sich darüber auf, aber wir halten ihn zurück, am Bahnhof fängt Dog an zu schreien, daß wir diesen Bastard nicht bezahlen sollen, daß er uns die ganze Zeit böse angeschaut hat, aha, sage ich zu Dog, hat dich wohl verwünscht mit seinem bösen Blick, beruhig dich doch, der Fahrer kriegt es mit der Angst, auch Wasja versucht, Dog zu beschwichtigen, wir zahlen, was wir schuldig sind, und gehen in den Bahnhof.
2.45
Der Zug fährt ätzend langsam, die Waggons sind kalt und leer, offensichtlich hat gerade jemand den Fußboden gewischt, vielmehr nicht gewischt, sondern ausgiebig mit kaltem Schmutzwasser übergossen, wir zittern, auf dem Bahnhof haben wir Dog gebeten, am Kiosk was Eßbares zu kaufen, Dog hat zwei Eineinhalb-Liter-Flaschen Mineralwasser gekauft, die hält er jetzt, wir sitzen im leeren kalten Waggon, keine Pilzsammler, keine Armeeabgänger, nicht mal Miliz gibt es hier, sämtliche Milizionäre erfüllen ihr Plansoll in einem Stadtteil, wo es noch lebende Menschen gibt, jemanden, den man in die Gaskammer sperren kann, wir haben unsere Ausgangssperre überstanden und versuchen jetzt, wegzukommen, irgendwohin.
Nur Kinder sind im Waggon, schon als wir eingestiegen sind, haben sie dringesessen, sind mit aus dem Depot gekommen, vor Wasja und mir hätten sie bestimmt keine Angst gehabt, haben wohl vor nichts Angst, man hat den Eindruck, daß sie schon alles erlebt haben, auch den Tod, als sie aber den düsteren, vollgekotzten Dog sehen, kriegen sie Schiß und drängen sich zusammen, wo kommt ihr her? fragt Wasja, und sie erzählen irgendwas, daß sie hier in diesem Zug wohnen, in den Waggons übernachten, vor allem jetzt, wo es so oft regnet, sie fahren bis nach Kinzewa, dann zurück in die Stadt, manchmal übernachten sie im Revier, aber die Miliz läßt sie in der Regel laufen, damit sie kein Ungeziefer in die Zellen einschleppen, so leben sie, übrigens gar kein schlechtes Leben, nicht das schlechteste.
Endlich stehen sie auf und gehen in den nächsten Waggon. Für sie ist es wie von der Küche ins Wohnzimmer gehen, sie haben diesen Zug besetzt und fahren nun mechanisch immer dieselbe Strecke, verlorene Seelen.
Ich versuche einzuschlafen, werde aber immer wieder aus dem Schlaf gerissen wie ein ungeschickter Surfer aus der Welle und beginne, leise zu stöhnen.
– Ist dir schlecht? – fragt Wasja.
– Meine Nieren nölen.
– Bist ganz durchgerüttelt.
– Mhm, durchgerüttelt. Durchgerüttelt, klar.
In den kurzen Momenten, wo ich doch auf meiner Welle stehe, mich auf dem Brett halten kann und nach unten fliege, träume ich von zwei Engeln – der eine ein bißchen größer, der andere ein bißchen dicker, sie gehen in den Flur hinaus und fangen an, sich gegenseitig zu
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