Der Adler ist gelandet
Kraft schenken, der Wahrheit ins Gesicht zu blicken.«
»Joanna Grey?« sagte ich leise.
Sein Gesicht war jetzt völlig im Dunkeln. »Im allgemeinen bin ich mehr daran gewöhnt, Beichten anzuhören, als sie abzulegen, aber, ja, Sie haben recht. Ich verehrte Joanna Grey. Oh, natürlich nicht im Sinne einer törichten sexuellen Zuneigung. Sie war für mich einfach die wunderbarste Frau, der ich je begegnete. Ich kann Ihnen auch nicht annähernd schildern, welchen Schock ich erlitt, als ich ihre wahre Rolle entdeckte.« »Und Sie gaben gewissermaßen Steiner die Schuld?« »Ich glaube, das könnte die psychologische Erklärung sein.« Er seufzte. »Wie lange das alles jetzt zurückliegt. Wie alt waren Sie neunzehnhundertdreiundvierzig? Zwölf, dreizehn? Können Sie sich noch erinnern, wie es damals war?«
»Eigentlich nicht. Nicht an das, was Sie meinen.« »Die Menschen waren kriegsmüde, es schien bereits eine Ewigkeit zu dauern. Können Sie sich vorstellen, was es für die Moral der Bevölkerung bedeutet hätte, wenn die Geschichte von Steiner und seinen Männern und der Geschehnisse in Studley Constable durchgesickert wäre? Deutsche Fallschirmjäger konnten hier landen und hätten um ein Haar den Premierminister geschnappt.«
»Oder getötet, wenn der Finger am Abzug nicht den Bruchteil einer Sekunde gezögert hätte.«
Voreker nickte. »Beabsichtigen Sie immer noch, die Geschichte zu veröffentlichen?«
»Warum sollte ich nicht?«
»Weil sie überhaupt nicht passiert ist. Der Grabstein ist verschwunden, und wer sollte beschwören, daß er überhaupt jemals da war? Und haben Sie ein einziges offizielles Dokument aufgestöbert, das irgendeinen Teil dieser Geschichte erhärten würde?«
»Das nicht«, erwiderte ich unbeirrt. »Aber ich habe mit einer ganzen Menge Leuten gesprochen, und was sie mir erzählten, summiert sich zu einem recht überzeugenden Bericht.«
»Er könnte überzeugend sein.« Wieder lächelte Voreker matt. »Wenn Sie nicht einen sehr wichtigen Punkt außer acht gelassen hätten.« »Und der wäre?«
»Schlagen Sie irgendeines der zahlreichen Geschichtswerke über den Zweiten Weltkrieg auf und lesen Sie nach, was Winston Churchill während des fraglichen Wochenendes tat.« »All right«, sagte ich. »Sagen Sie's mir.«
»Startete zu seiner Reise mit der HMS Renown zur Konferenz von Teheran. Machte unterwegs in Algier Station, wo er den Generälen Eisenhower und Alexander den NordafrikaOrden überreichte, und traf am siebzehnten November, soviel ich mich erinnere, in Malta ein.« Ich wurde plötzlich sehr still. Ich sagte: »Wer war der Mann?« »Er hieß George Howard Foster, in der Branche bekannt als der große Foster.«
»In der Branche?«
»Theaterbranche, Mr. Higgins. Foster war eine gängige Varietenummer, Verwandlungskünstler. Der Krieg hat ihn zum großen Foster gemacht.« »Wieso?«
»Er lieferte nicht nur eine mehr als passable Imitation des Premierministers, er sah sogar aus wie Churchill. Nach Dünkirchen kam er mit seiner Glanznummer heraus, seinem großen Wurf sozusagen. ›Ich habe euch nichts zu bieten als Blut, Schweiß und Tränen. Wir werden uns auf den Stränden mit ihnen schlagen.‹ Das Publikum raste.« »Worauf ihn der Geheimdienst heranzog?«
»Bei besonderen Gelegenheiten. Wenn man auf dem Höhepunkt des U-Boot-Kriegs den Premierminister auf eine Seereise schicken will, so empfiehlt es sich, ihn irgendwo an Land öffentlich auftreten zu lassen.« Voreker lächelte. »In jener Nacht gab er seine Galavorstellung. Alle hielten ihn für Churchill. Nur Corcoran kannte die Wahrheit.« »All right«, sagte ich. »Wo ist Foster jetzt?«
»Er kam ums Leben, zusammen mit weiteren einhundertundacht Personen, als im Februar neunzehnhundertvierundvierzig eine Bombe in ein kleines Theater in Islington einschlug. Sie sehen also, es war vergebliche Mühe. Das Ganze ist nie passiert. Zum Besten aller Betroffenen.« Ein Hustenanfall erschütterte seinen ganzen Körper. Die Tür ging auf, und eine Nonne kam herein. Sie beugte sich über ihn und flüsterte etwas. Voreker sagte: »Entschuldigen Sie, es war ein langer Nachmittag. Ich muß jetzt ruhen. Ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind und Ihr Wissen mit mir geteilt haben.« Wieder begann er zu husten, also verabschiedete ich mich rasch und wurde von dem jungen Pater Damian höflich zur Tür geleitet. Auf der Schwelle reichte ich ihm meine Karte. »Falls sein Zustand sich verschlechtert.« Ich zögerte. »Sie verstehen?
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