Der Adler ist gelandet
meinen Ermittlungen hatte Greeve, als er Kapitän der Orange Tree war, einen Steuermann namens Charles Gascoigne, der später Kapitän in der Marine wurde. Er starb sechzehnhundertdreiundachtzig an einer alten Verwundung, und es scheint, daß Greeve ihn nach Cley bringen ließ, wo er dann begraben wurde.«
»Aha«, sagte er höflich, aber ohne besonderes Interesse. Ja, es klang sogar eine Spur Ungeduld mit.
»Auf dem Friedhof von Cley ist aber keine Spur von Gascoigne zu finden, auch nicht in den Kirchenbüchern«, sagte ich. »Und jetzt glauben Sie, er könnte hier sein?«
»Er wurde als Junge katholisch erzogen, also kam ich auf die Idee, er könnte auch in seinem Glauben begraben worden sein. Und deshalb suche ich hier.«
»Leider ganz umsonst.« Der Geistliche stemmte sich hoch. »Ich bin jetzt seit achtundzwanzig Jahren hier in St. Mary, und ich kann Ihnen versichern, daß ich nie auf irgendeine Erwähnung dieses Charles Gascoigne stieß.«
»Macht nichts«, sagte ich. »Stört es Sie, wenn ich mich trotzdem ein bißchen auf dem Friedhof umsehe, nachdem ich nun schon mal hier bin?« »Warum nicht? Wir haben ein paar interessante Steine. Ich möchte Ihnen besonders den Westteil empfehlen. Frühes achtzehntes Jahrhundert«, sagte Pater Voreker.
Ich begann mit dem Westteil und nahm mir methodisch jeden einzelnen Grabstein vor. Sie waren wirklich sehenswert. Behauen und mit lebhaften und ziemlich kruden Reliefen von Knochen, Schädeln, Sanduhren und Erzengeln geschmückt. Interessant, aber für meine Suche eine völlig falsche Epoche.
Ich stand jetzt neben dem Grab, das der Totengräber vorhin frisch ausgehoben hatte und gestand mir meine Niederlage ein. Wegen des Regens war eine Zeltbahn über die Öffnung geworfen, und das eine Ende war in die Grube gerutscht. Ich bückte mich, um es wieder zurechtzuziehen, und als ich mich gerade wieder aufrichten wollte, sah ich etwas Sonderbares. Ein, zwei Meter entfernt, am Fuß des Turms dicht an der Kirchenmauer, lag eine flache Grabplatte in einem grünen Grashügel. Am Kopfende sah man einen prachtvollen Totenschädel mit gekreuzten Knochen, darunter die Namen eines Wollhändlers, Jeremiah Füller, seiner Frau und seiner zwei Kinder. In meiner Hockstellung aber sah ich außerdem, daß darunter noch eine zweite Platte lag.
Ich wurde von einer merkwürdigen Erregung gepackt. Ich kniete nieder, beugte mich über die Grabplatte und versuchte, mit den Fingern darunterzufassen, was sich als sehr schwierig erwies, aber dann, ganz plötzlich bewegte sich der Stein. Die Platte glitt zur Seite, rutschte über den Rand des Hügels, und dann kam die Enthüllung. Es war einer der erstaunlichsten Augenblicke meines Lebens, denn ich sah vor mir einen schlichten Stein mit einem deutschen Kreuz zu Häupten. Die Inschrift darunter war deutsch und englisch: »Hier ruhen Oberstleutnant Kurt Steiner und 13 deutsche Fallschirmjäger, gefallen am 6. November 1943.« Mir verschlug es die Sprache.
Ich kauerte im Regen, prüfte Text und Übersetzung sorgfältig auf ihre Richtigkeit. Sie stimmten überein und ergaben dennoch keinen Sinn. Erstens wußte ich zufällig, daß die Überreste der 4925 deutschen Krieger, die im Ersten und Zweiten Weltkrieg in Großbritannien als Kriegsgefangene gestorben waren, 1967 in den neu angelegten deutschen Soldatenfriedhof in Cannoch Chase in Staffordshire überführt worden sind. Aber abgesehen davon, was in aller Welt hatten deutsche Fallschirmjäger 1943 in Norfolk zu suchen gehabt? »Gefallen«, besagte die Inschrift. Nein, es war völlig absurd. Jemand mußte sich einen schlechten Scherz erlaubt haben. Es konnte gar nicht anders sein.
Alle weiteren Überlegungen zum Thema wurden mir durch
einen scharfen, erbosten Ausruf abgeschnitten. »Was, zum Teufel, fällt Ihnen ein?« Trotz der unkirchlichen Ausdrucksweise kam der Ruf von Pater Voreker, der mit aufgespanntem schwarzen Regenschirm zwischen den Grabsteinen herbeihumpelte.
Ich rief: »Das dürfte Sie interessieren, Pater. Ich habe einen tollen Fund gemacht.«
Als er näher kam, merkte ich, daß etwas nicht stimmte, denn sein Gesicht war weiß vor Erregung. »Wie können Sie es wagen, diesen Stein anzufassen. Sakrileg... Das ist das einzige Wort für Ihr Tun!« »Schon gut«, sagte ich. »Tut mir leid. Aber sehen Sie doch, was ich darunter entdeckt habe.«
»Ich geb' den Teufel drum, was Sie darunter entdeckt haben! Schieben Sie ihn wieder an seinen Platz!«
Jetzt wurde ich wütend. »Seien Sie
Weitere Kostenlose Bücher