Der Afghane
Tag in fünfhundert Sprachen und über tausend Dialekten durch den Äther gehen, werden hier gehört, gesiebt, sortiert, verworfen oder behalten und, falls sie interessant sind, analysiert und verfolgt.
Aber das ist nur der Anfang. Beide Behörden codieren und entschlüsseln Hunderte von Chiffren, und jede hat Spezialabteilungen, die für Datenrettung und die Verfolgung von Computerkriminalität zuständig sind. Während der Planet sich in einen neuen Tag und eine neue Nacht hinein drehte, machten die beiden Behörden sich daran, die Maßnahmen, mit denen al-Qur seine privaten Dateien zu löschen geglaubt hatte, zu annullieren. Die Experten fanden diese Dateien in den Tiefen der Festplatte und legten die Schlupfspeicher frei.
Man hat diesen Prozess mit der Arbeit eines erfahrenen Kunstrestaurators verglichen. Mit unendlicher Sorgfalt werden die oberen Schmutz- und Übermalungsschichten von einem Gemälde entfernt, bis das verborgene Werk darunter zutage tritt. Genau so offenbarte Mr. al-Qurs Toshiba nach und nach all die Dokumente, die er gelöscht oder überschrieben zu haben glaubte.
Natürlich hatte Brian O'Dowd seinen vorgesetzten Kollegen, den Niederlassungsleiter in Islamabad, alarmiert, schon bevor er Razak auf die Razzia begleitete. Der leitende SIS-Mann hatte seinen »Vetter«, den CIA-Chef in der Hauptstadt, informiert. Beide warteten jetzt begierig auf Neuigkeiten. In Peschawar würde man heute nicht schlafen.
Colonel Razak kehrte mit mehreren Taschen voller Beute um Mitternacht aus dem Basar zurück. Die drei überlebenden Leibwächter waren in Zellen im Keller seines Gebäudes untergebracht worden. Dem gewöhnlichen Gefängnis würde er sie keinesfalls anvertrauen. Dort wäre ihre Flucht oder ein assistierter Selbstmord kaum mehr als eine Formsache gewesen. Islamabad hatte jetzt ihre Namen und war zweifellos in diesem Augenblick dabei, mit der amerikanischen Botschaft und der von dort operierenden CIA-Niederlassung zu feilschen. Der Colonel vermutete, dass sie am Ende in Bagram landen würden, wo man sie monatelang verhören würde – obwohl er den Verdacht hatte, dass sie nicht einmal wussten, wie der Mann hieß, den sie hatten beschützen sollen.
Das verräterische Handy aus Leeds war gefunden und identifiziert worden. Allmählich wurde klar, dass der törichte Abdelahi es nur unbefugt ausgeborgt hatte. Jetzt lag er auf einem Tisch im Leichenschauhaus und hatte vier Kugeln in der Brust, aber sein Gesicht war unversehrt. Der Mann, der über die Balkonbrüstung gesprungen war, hatte einen zerschmetterten Schädel, doch der beste Gesichtschirurg der Stadt versuchte soeben, ihn wieder zusammenzusetzen. Als er getan hatte, was er konnte, wurde ein Foto von dem Toten gemacht. Eine Stunde später rief Colonel Razak mit schlecht verhohlener Aufregung bei O'Dowd an. Wie alle Antiterror-Organe, die im Kampf gegen islamistische Terrorgruppen zusammenarbeiten, verfügt auch das pakistanische CTC über eine umfangreiche Fotogalerie von verdächtigen Personen.
Es ist ohne Bedeutung, dass Pakistan weit von Ägypten entfernt ist. Unter den Terroristen von al-Qaida finden sich mindestens vierzig Nationalitäten und doppelt so viele ethnische Gruppen. Und sie reisen. Razak hatte die ganze Nacht vor einem großen Plasmabildschirm in seinem Büro verbracht und die Gesichter aus seinem Computer betrachtet, und immer wieder kehrte er zu einem bestimmten Gesicht zurück.
Aus den sichergestellten Pässen – elf Stück, alle gefälscht und alle von hervorragender Qualität – ging klar hervor, dass der Ägypter viel gereist war, und dabei hatte er offensichtlich sein Äußeres verändert. Aber dieses eine Gesicht – das Gesicht eines Mannes, der in der Vorstandsetage einer Bank im Westen nicht weiter aufgefallen wäre, der aber verzehrt wurde von einem Hass auf alles und jeden außerhalb seines eigenen verkorksten Glaubens – schien etwas mit dem zerschmetterten Gesicht auf dem Marmortisch gemeinsam zu haben.
Razak erreichte O'Dowd beim Frühstück mit seinem amerikanischen CIA-Kollegen in Peschawar. Die beiden Männer ließen ihr Rührei stehen und waren wenig später im Büro des CTC. Sie starrten das Gesicht auf dem Bildschirm an und verglichen es mit dem Foto aus dem Leichenschauhaus. Wenn das wahr wäre … Und beide Männer hatten nur noch eines im Sinn: ihrer Zentrale von dieser atemberaubenden Entdeckung zu berichten. Der Tote auf dem Tisch war niemand anders als Tewfik al-Qur, der al-Qaida-Finanzchef
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