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Der Alchimist von Krumau

Der Alchimist von Krumau

Titel: Der Alchimist von Krumau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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schwarzen Frauen waren hier vorn im lachsfarbenen Zimmer erschienen, kaum dass Lisetta abgerufen worden war. Sie hatten ihn mitgenommen, und er – er hatte sich nicht gewehrt, nicht mal fortzulaufen versucht, gelähmt vor Entsetzen. Denn auch das war ihm ja schon mal widerfahren, mehr als einmal, durch Männer, nicht durch Frauen, aber schwarz gewandet waren ja auch sie.
    Er schluchzte an ihrer Schulter, wie er sich früher so oft an der Schulter der Steinerin ausgeweint hatte, wenn ihm abermals das ganz und gar Schreckliche geschehen war. Und sah auch gleich alles wieder vor sich, die Orangerie, den gemauerten Anbau, in dem er mit der Steinerin und dem Steiner hauste, auf dem Hügel drüber das Herrenhaus, ringsum die wilden Weiten des Parks.
    Manchmal rennt er davon, Hals über Kopf davon, vor einer Angst, der er doch nie entfliehen kann, weil sie tief in ihm haust. Er rennt durch den Park, die Lider gesenkt gegen den Schweiß, der ihm aus den Haaren läuft, Angstschweiß, Hitzeschweiß, denn er rennt so schnell, wie er überhaupt nur kann. Dabei hält er sich stets im Schatten, rennt zwischen Bäumen hindurch, am Rand der Büsche und Hecken, die der alte Steiner tagein tagaus mit Messern und Krummsicheln stutzt.
    Er sieht sie niemals vorher, immer erst, wenn die Hand ihn beim Arm oder am Fußknöchel packt und zu Boden reißt. Da liegt er dann, keuchend, auf dem Rücken, in die wirrbärtige Fratze starrend, den fauligen Atem des Lumpenkerls in der Nase, der rittlings über ihm hockt, eine Hand auf seinen Mund gepresst hält und ihm mit der andern Schläge versetzt, auf die Arme, auf die Brust, in den Bauch, auf die Beine, ein Hagelsturm von Hieben. Und dann endlich von ihm ablässt, aber nur, um ihn sich wie einen Sack über die Schulter zu werfen, ihn im Laufschritt davonzuschleppen, in den Wald hinüber, wo die andern Lumpenkerle lauern. Und da wird’s dann noch viel ärger, da reißen sie ihm die Kleider herunter und tunken seinen Kopf in Jauchewasser, da werfen sie ihn wie ein Lumpenbündel herum, immer im Kreis, da ritzen sie blutige Bilder in seine Beine, da schreit und schreit er »Stei-ne-rin! Stei-steine-riiin!«, aber viel lauter johlen die Kerle, da zwängen sie ihm die Lippen auf und speien ihren Speichel in seinen Rachen, einer nach dem andern und immer wieder ihren Schneckenrotz in seinen Mund, da wollen sie ihm auf einmal wieder gut sein, und das ist das Ärgste, Allerekelhafteste überhaupt, da werfen sie ihm seine Kleider hin, und er schreit noch immer – »Steinerin! Stei-steine-riiin!« –, während er sich die Fetzen übernestelt, da treiben sie ihn mit Tritten und Hieben vor sich her, aus dem Wald hinaus und wieder in den Park hinüber, zum alten Steiner, der sie schon erwartet, sie wahrhaftig schon erwartet: Die Kerle beklopfen seine Schultern, feixen ihm zum Abschied zu, worauf der alte Steiner ihn bei der Hand nimmt und nach Hause bringt.

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    Sie trat aus dem dunklen Durchhaus zum untersten Burghof und sah gleich, dass sie zu spät gekommen war: Vor der Tür zum gräflichen Hospiz, linkerhand neben dem Pulverhaus, standen zwei Gardisten, die Hände drohend auf den Säbelgriffen, ein halbes Dutzend Bürger in bunten Gewändern vor ihnen, während vom Burgtor her schon weitere Soldaten herbeiliefen.
    Sie mischte sich unter die Leute, ein wenig außer Atem nach dem raschen Lauf. Den alten Brodner erkannte sie, Wirt der Schänke »Zum Goldenen Fass«, neben ihm seine zierliche Frau Maria, die lederne Wirtsschürze umgeschnürt. Auch die anderen Bürger kannte sie alle seit ihren Kinderjahren, den Küfner Braduçek nebst Gemahlin, den ungemein breitschultrigen Flößer Tomas und einen Rotschopf mittleren Alters, dessen Name ihr erst nach kurzem Nachsinnen einfiel: Balthasar Kurusch, Totengräber von Krumau, seit sein Bruder Melchior seinerseits ins Grab gefahren war.
    »Was geht hier vor?«, fragte sie die Gardisten, erfüllt von einer Ahnung, die eher schon Gewissheit war. »Warum bewacht ihr diese Tür?«
    Einer der Soldaten war Franz Brodner, den sie einst drunten am Moldauufer geküsst hatte – vor vielen Jahren, vor einem halben Leben. Wie eine Ritterrüstung stand der blonde Franz neben dem Türpfosten und schielte unbehaglich von ihr zu seinem Vater, dem stämmigen Wirt, der nun anstelle des Sohnes das Wort ergriff: »Das fragst du – Ihr, Madame?« Das pralle Gesicht mit dem traurig hängenden Schnauzbart rötete sich vor Zorn. »Unsre Kinder sind dort drinnen, und er

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