Der Alchimist von Krumau
Monsieur.«
Der Maître senkte wieder den Kopf. »Seid nachsichtig mit einem Kranken, Madame. Ich habe mich nur deshalb von meinem Lager erhoben, weil ich einsehen musste, dass sich das Fieber nicht bezwingen lässt, nicht einmal mit Hilfe der ausgezeichneten Arznei, für die ich Euch übrigens herzlich danke.« Ein Anflug des alten Spotts ließ seine Augen funkeln.
»Und nun muss ich nachdenken, Madame, vielleicht, dass mir noch rechtzeitig einfällt, wie ich Julius’ bevorstehenden Zug parieren kann.«
»Seinen Zug?«, wiederholte Markéta. »Also ahnt Ihr doch schon, was er unternehmen wird?«
»Nun, genauer besehen ist es natürlich der Schachzug des Puppenmachers. Aber in diesem Fall wird wohl Julius sich einbilden, dass er die Puppen dirigiert, anstatt ihnen bloß anzugehören – übrigens der Wunschtraum eines jeden Schachkönigs: einmal wirklicher Herrscher zu sein.« Er unterbrach sich und lächelte Markéta flüchtig zu.
»Von Hezilows unsichtbarer Hand ermuntert, wird unser schwarzer Schachkönig also mit seinem nächsten Zug alle verbliebenen Schlupflöcher abriegeln, sodass die weiße Partei vollständig von schwarzen Wächtern umzingelt ist.«
In Markétas Kopf begann es sich zu drehen, sie riss die Augen auf und überlegte angestrengt, was die Rätselworte bedeuten mochten.
»Könnt Ihr Euch nicht einfacher erklären, Monsieur? Meine Mutter war eine leidenschaftliche Schachspielerin, aber ich hab an dem irrgärtnerischen Schnitzwerk nie Gefallen gefunden.«
»So wenig wie der Bader Pichler, ich weiß.« Maître d’Alembert zog nun tatsächlich sein Stöckchen zwischen den Polstern hervor und warf es zaghaft empor. »Spätestens morgen wird Julius die Stadttore von Krumau verriegeln lassen, so nämlich, dass niemand mehr die Stadt verlassen und niemand mehr von außen hereingelangen kann.«
»Aber mit welcher Begründung könnte er so etwas anordnen?«
»Ganz einfach, Madame.« D’Alembert beugte sich vor und klaubte mit Mühe seinen Stab vom Teppich. »Der gräfliche Medikus wird – zu Recht oder nicht – erklären, dass in Krumau die Pestilenz ausgebrochen sei.«
67
»Madame, bitte verzeiht, ich suche Flor. Habt Ihr eine Vorstellung, wohin er …«
»Flor?« Sie sah Lisetta unwillig an, mit einem Fuß schon auf der Treppe nach unten. »Ist er denn nicht im Frauengemach?« Dort hatte sie ihn zurückgelassen, auf dem lachsfarbenen Sofa, vor zwei Stunden erst.
»Nein, Madame, ich versteh’s ja auch nicht. Madame Johanna hat mich zu den Wäscherinnen geschickt, und als ich zurückkomm, ist er fort! Ich hab alles abgesucht, jeden Winkel, ich weiß ja, wie gern er sich verkriecht.«
Ihre Rede verebbte, stattdessen begannen Tränen aus wasserblauen Augen zu fließen.
»Ruhig, Mädchen«, sagte Markéta, dabei fühlte sie selbst sich gejagter denn je. Sie musste mit dem Medikus reden, auf der Stelle, vielleicht, dass sich das Unheil doch noch abwenden ließ. Von Rosert drohen, dachte sie, ihn einschüchtern, irgendwie Vater Sigmund mit herbeiziehen. Wenn der Medikus sieht, dass er’s mit Heilkundigen zu tun hat, wird er sich scheuen, den Leuten eine lügenhafte Pest an die Wand zu malen.
Aber nun das: Flor verschwunden, vor ihr Lisetta ans Treppengeländer geklammert, der ganze Kopf unter dem dünnen blonden Haar vor Erregung glühend.
»Hast du im Schlafgemach nachgeschaut? In der Badekammer, hinter den Sofas im Empfangsraum?«
Lisetta nickte bei jeder einzelnen Frage, anscheinend erleichtert, dass sich zumindest ihre Unschuld erwies.
»Nach draußen ist er sicher nicht gelaufen«, sagte Markéta, an der Unterlippe nagend. Seit Hezilow ihn eingefangen, im Gewölbe aufgehängt und in ein Kristallglas voll Wasser
gestoßen hatte, wagte Flor sich kaum mehr aus der Schlafkammer hervor. Nur durch flehentliche Bitten hatte sie Julius überhaupt erweichen können, den Nabellosen noch einmal Hezilow zu entreißen. Gerät er abermals in die Fänge des Lumpenteufels, dachte sie, so ist’s um ihn geschehen. Aber diesmal hatte der Puppenmacher nichts mit Flors Verschwinden zu tun, das spürte sie.
»Komm mit.« Und Markéta zog die kleine Zofe hinter sich her, ins Frauengemach zurück und windgeschwind durch die Flucht lachsfarbener und pfirsich-und aprikosenzart getönter Säle und Gemächer und Kammern, der Quelle des Weihrauchdufts entgegen, der mit jedem Schritt lastender wurde. Mit einer Hellsicht, die der fromme Dampf möglicherweise beförderte, sah sie bereits vor sich,
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