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Der Alchimist von Krumau

Der Alchimist von Krumau

Titel: Der Alchimist von Krumau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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auf die Straße hinaus.
    Der Verletzte war tatsächlich ein alter Mann, wenngleich nicht annähernd so alt, wie Julius vermutet hatte, als der Schrei erklungen war. Von seinen grauen Haaren, dem spinnwebdünnen Bart abgesehen, hatte er keine Ähnlichkeit mit Mariandls Sternengucker, natürlich nicht. Er roch nach Fusel, als Julius sich über ihn beugte, und offenbar war er just auf die Gasse getorkelt, als ihre Kutsche vorüberfuhr. Eins der eisenbeschlagenen Räder musste zur Gänze über ihn hinweggegangen sein und hatte seinen Leib in Höhe des Gürtels nahezu zerteilt. Sein Blick war bereits gebrochen, seine Lippen theatralisch rot verfärbt.
    Er ist tot, dachte Julius, dennoch richtete er sich auf und rief:
    »Holt einen Medikus, ich befehl’s.«
    »Den braucht er nicht mehr«, sagte eine helle Stimme hinter ihm.
    Schon bevor er sich umgewandt hatte, wusste Julius, dass es die Stimme der jungen Frau sein musste, die ihn eben so offen angesehen hatte, ohne Scheu oder gar Unterwürfigkeit.
    »Wer sagt das«, fragte er dennoch, »und mit welcher Autorität?« Er drehte sich um, und da stand sie vor ihm, so dicht, dass er beinahe zurückgefahren wäre. Dabei sah sie keineswegs zum Entsetzen aus, im Gegenteil: eine hochgewachsene Gestalt, mädchenhaft und hochbrüstig, schlank und doch kraftvoll, als ob sie’s gewohnt wäre, unzimperlich zuzupacken. Eine rossbraune Mähne rahmte ihr offenes Gesicht, aus dem ihn grüne Augen aufmerksam ansahen, sogar mit einer Beimischung von Spott, wie ihm schien.
    »Markéta Pichlerová, Tochter des Baders Sigmund Pichler«, sagte sie. »Und dieser dort braucht keinen Medikus mehr, Euer Exzellenz. Sein Name ist Melchior Kurusch. Gott im Himmel sei seiner Seele gnädig.«
    »Amen«, antwortete er unwillkürlich und fasste mit seiner Rechten nach Markéta Pichlerovás schlanker brauner Hand, die wie anklagend auf den Leichnam wies.
    Schon wieder ein Toter, dachte er, und da durchfuhr’s ihn: Aber sie beide sollen nicht umsonst dahingegangen sein! Das Mariandl nicht, das mich zum Sternengucker brachte, und hier der Alte nicht, der mich an das Horoskop erinnert hat: Die Sterne wollen’s so, drum musste ich hier heraus nach Krumau. Hier werd ich auf den Erleuchteten treffen, hier wird er Gold und künstliche Kreaturen erschaffen mit seiner alchymischen Magie. Und dann fahr ich im Triumph zurück nach Prag!
    »Lasst mich los, ich bitt Euch«, sagte die Baderstochter, »Ihr zerquetscht mir ja die Hand.«
    Da schrak er zusammen und ließ ihre Finger fahren; seine Unterlippe begann zu zucken, wie so oft, wenn ihn starke Erregung befiel.
    »Der Mann soll in allen Ehren bestattet werden«, rief er so laut, dass die Gaffer ihn im weiten Umkreis hörten. »Ich, Don Julius, will’s so und komm für alles auf.«
    »Das wird trotzdem nicht ganz leicht werden, Exzellenz«, gab die junge Frau zurück. Ihre grünen Augen blitzten, ungewiss, ob spöttisch oder im Zorn. »Melchior Kurusch war unser Totengräber.«

  3
     
     
    Im Morgendämmer des 5. Mai 1607 riss eine ältliche Männerstimme Markéta Pichlerová aus dem Schlaf. Zu verstehen war gar nichts, zumal fünf Schritte unterm Badehaus die Moldau vorübergurgelte. Vor Markétas innerem Auge bebte noch das Bildnis ihrer Mutter, die ihr wieder im Traum erschienen war, wie so häufig in den vier Jahren seit Mutter Biancas unbegreiflichem Tod.
    Sie schlüpfte in ihre Holzpantinen und lief im Nachtgewand die knarrenden Stiegen hinab. Unten klapperte sie durch die Badestube und durchs morgengraue Durchhaus, wo sie leise fluchend das Guckfenster aufzog. Dahinter kamen zwei kugelrunde Glatzköpfe zum Vorschein, die nahezu halslos auf den Stehkragen ihrer moldaublauen Uniformen aufzuliegen schienen.
    »Was in aller Welt …« Die Verwünschung zerfiel Markéta auf der Zunge. Zwischen den beiden Bütteln, nachlässig bei den Achseln untergefasst, hing eine Lumpengestalt, tropfnass und schlaff wie ein Bündel Binsen.
    Die Wächter sahen die Verwunderung der schlaftrunkenen Maid und beeilten sich zu erklären: In der ersten Morgendämmerung hätten sie den jungen Fremdling aufgefunden, am Flussufer unter der Burg. Reglos habe er auf der Böschung gelegen, pudelnass zwischen Uferkraut und Kieseln, die Augen geschlossen wie in tiefem Schlaf. Und sei auch nicht aus seiner Ohnmacht aufgewacht, als sie ihn geschüttelt hätten und mit Backpfeifen traktiert, dabei sei er offenbar am Leben. Denn das Herz des Fremden schlage, auch wenn niemand wisse, für

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