Der Alchimist von Krumau
Fenstern Notiz. Man schrieb den 3. Mai 1607 A.D. einen Samstag. In den Gassen drängten sich Händler, Schaulustige und Käufer zu Fuß oder auf Pferdekarren, die zum Markt in der Oberstadt strebten. So kamen sie nur im Schritttempo vorwärts, aber d’Alembert machte keine Anstalten, ihnen den Weg freizukehren.
»Unter den obwaltenden Umständen«, erklärte er, »seid Ihr gut beraten, Excellence, inkognito einzuziehen.«
»Umstände, Maître?«
»Nun, mir kommt es beinahe so vor, als wärt Ihr schon gestern hier eingetroffen.« D’Alembert setzte sein berühmtes undurchdringliches Lächeln auf. »Bei Anbruch der Dunkelheit, wenn ich es mir recht überlege.«
»Aber wie oft soll ich’s noch beteuern«, fuhr Julius auf, »ich hab diesem Mariandl keinen Kratzer in den Balg gemacht, geschweige denn …«
Der Maître hob sein Stöckchen. »Nie mehr diesen Namen, Euer Liebden, ich bitte Euch. Eine Person namens Mariandl habt Ihr in Eurem ganzen Leben nicht gesehen.«
Gemächlich schaukelten sie in die Oberstadt hinauf, eingekeilt zwischen Karren, Tier-und Menschenleibern. Wenn die Leute da draußen wüssten, wer hier in der Kutsche hockt, dachte Julius, wer weiß, ob sie uns nicht mit Flüchen und Üblerem überschütten würden. Der Maître hielt ihn immer noch für einen tumben Jüngling, der sich durch seine Schliche arglos lenken ließ. Aber er hatte schon mehr als einmal munkeln hören, dass die Leute von Krumau dem Kaiser grollten, weil der seiner
Mätresse die Grafschaft in den Schoß geworfen habe als Spielwerk für ihren Bastardsohn. Jahrhundertelang hatten die mächtigen Rosenberger hier in Krumau geherrscht, der größten böhmischen Burg hinter Prag. Bis der Letzte ihres Geschlechtes, Graf Wilhelm, Vizekönig und Kanzler von Böhmen, im Herbst
1602 dahingerafft worden und die hoch verschuldete Herrschaft mitsamt allen Dörfern, Meilern, Untertanen in die Hände Ihrer Majestät gefallen war, des wunderlichen Weisen von Prag.
Aber ich spei drauf. Mein Platz ist bei Euch, allerherrlichster Herr, nicht hier draußen im Wald.
Der Marktplatz war ein Gebrodel aus Lachen und Wiehern, Rufen und Muhen, aus Grölen und Blöken, vermischt mit Gerüchen nach Bier und Pferdepisse, Schweiß und Kirschsaft, Schweinswurst und Kot. Durch einen Spalt im Vorhang spähend, erkannte Julius eine schwarze Pestsäule, die sich mit versteinerter Geilheit gen Himmel reckte, umgeben von einem Wirrwarr aus Marktständen, wimmelnden Ferkeln und Kindern, Bürgern in steifer Würde und Bauern in bunter Tracht. Der Kutscher ließ die Peitsche knallen, und schrittweise blieb das Durcheinander der Marktstände hinter ihnen zurück. In der Mittagssonne gleißte die Moldau wie ein riesiger Spiegelwurm, der selbst ihre Kutschkabine mit hellem Weiß erfüllte.
Da wurde Julius noch düsterer zumute – ah, er hasste sie aus tiefstem Herzen, die heuchlerische Maienheiterkeit. Und hatte es kaum gedacht, da blieben sie stehen, mit einem Ruck, der ihn fast von der Kutschbank warf. Ein Rumpeln und Holpern, als ob sie durch einen Erdwulst gefahren wären, jemand stieß plötzlich einen Schrei aus, der gleich schon in einem Gurgeln erstickte, die heisere Stimme eines alten Mannes. Es klang, als ob er aufgekrächzt und fast im selben Moment sich in hellem Schwall erbrochen hätte – Mariandls Sternengucker!, dachte Julius in jähem Erschrecken, aber es kann ja nicht sein. Ohne auf d’Alemberts Stöckchen zu achten, stieß er die Tür auf und rief, mit der Linken im Freien fuchtelnd: »Halt! Ich befehl’s.«
Dabei hielten sie ohnehin schon, und obwohl der Maître ihn zurückziehen wollte, beugte sich Julius mit dem Oberkörper aus der Tür heraus. Sie standen am Rand einer hölzernen Brücke, die offenbar ins Burgviertel hinüberführte. Sonnenstrahlen zitterten über der Moldau und ließen die Mauern und Dächer der ungeheuren Burgmasse über ihnen wie eine zweite Sonne erstrahlen.
Die Leute in der Gasse gafften zu ihm empor, ans Geländer gedrückt. »Don Julius«, hörte er, »der Bastardgraf«, aber das hatte er sich vielleicht nur eingebildet. Unmittelbar vor ihm stand, den Kopf im Nacken, ein fetter Mann in ausgeblichener Tracht. Neben ihm ein kleiner Knabe, die Augen weit aufgerissen, der Nasenrotz in der Sonne glitzernd, dann ein junges Weib, das ihm ungeniert in die Augen sah. Julius wollte sie eben genauer in den Blick fassen, da erklang ein Stöhnen. Unter dem Raunen der Leute zwängte er sich vollends aus der Kutsche und sprang
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