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Der Alchimist von Krumau

Der Alchimist von Krumau

Titel: Der Alchimist von Krumau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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Kindheit eine Flucht von drei Zimmern bewohnte, neben dem Appartement seines Erziehers und Bewachers d’Alembert. Auf dem Tisch vor seinem Bett, sogar ringsum auf dem Boden, überall standen brennende Kerzen. Wer hatte sie angezündet, wer dort verteilt? Er erinnerte sich an nichts, und im Grunde war’s ihm auch gleich. In seinem Kopf sauste der Schwindel, umso wüster, je wütender er in das Hürchen hineinstieß. In dir ersaufen will ich!, dachte er wieder, und das Sausen in seinem Schädel wurde ärger und ärger, bis in ihm eine Feuersäule emporstieg und hinter seinen Augen zu einem Wirrwarr roter Schlieren zerbarst.
     
    »Heda?«
    Keiner da.
    So fuhr er bald jede Nacht aus dem Schlaf, bedeckt mit kaltem Schweiß. Das Zimmer schwarz, auch vorm Fenster noch finstere Nacht. Sein Herz klopfte wild, dabei erinnerte er sich an keinen Fetzen eines Traums. Still lag er auf seinem Bett und horchte in die Dunkelheit.
    »Mariandl?« Kein Laut, nicht mal ein wisperleises Atmen im Schlaf. Also hatte er alles bloß geträumt: wie das Mariandl ihn durch krumme Gassen schleppte, erst in die Hollerschenke, dann zum zwergenhaften Sternengucker, und wie sie nachher hier bei ihm im Himmelbett lag?
    »Jemand da?« Keine Antwort, nichts. Julius tastete auf den Laken umher, und seine Finger glitschten durch klebrige Feuchtigkeit. Ei, wie denn das? Er wälzte sich aus dem Bett und stieß mit dem Fuß gegen ein klobiges Ding, das mit einem Klirren protestierte. Nackt tapste er durchs Dunkel, blindlings um sich tastend, bis er endlich die Tür an seinen Fingern fühlte. Er zog sie auf, und ein Schwall Lampenlicht schwappte aus dem Flur herein. Hinter seiner Stirn auf einmal wieder jenes Sausen. Er sah an sich herunter, und da war alles rot, auf seiner Brust, seinem Bauch, an seinen Händen und Armen, alles beschmiert mit einem widerlichen Gemenge aus geronnenem Rot und traumkaltem Schweiß.
    Julius wandte sich zum Bett um. Es lag im Dunkeln, jenseits des Rechtecks aus trübem Licht. Er langte in den Flur hinaus, nahm eine Laterne vom Wandhalter und trat zurück in sein Gemach. Den Blick gesenkt, die Lampe erhoben, ging er auf sein Bett zu, so langsam wie im Traum. Aber es war kein Traum, es war ein rot beschmiertes Beil am Boden, das neben dem Bettfuß lag, als ob es seiner Hand im Schlaf entglitten wäre, und es waren Mariandls Augen, so groß, so starr über einem winterkalten Grinsen, dem alle Zähne ausgefallen waren.

EINS – SUBLIMATIO
     
     
    »Erhöht das Trockene durch Feuer im Tiegel, um die gröbsten Unreinheiten der prima materia zu entfernen.«

  1
     
     
    »Zum hundertsten Mal, Maître: Als ich zu mir komm, liegt sie neben mir in ihrem Blut, mehr weiß ich nicht.«
    Mit knarrendem Achswerk holperte ihre Karosse durch Schlaglöcher, über Steinbrocken, Wurzelstrünke, dass Julius und d’Alembert wie Puppen hin und her geschaukelt wurden.
     »Ich kenn dieses Mariandl ja gar nicht – eine Hur aus der Hollerschenke, warum sollt ich der ans Leben gehen?«
    Maître d’Alembert lächelte ihn nur an, sein Gesicht wie immer eine weiße Maske mit wasserhellen Augen und gespitztem Tollkirschmund. Julius hatte ihn rufen lassen, und unverzüglich, den Schlaf noch in den Augenwinkeln, hatte d’Alembert begonnen, Vorkehrungen zu treffen und Befehle zu erteilen. Julius war ins Bad geschickt worden, und als er in seine Gemächer zurückkam, gesäubert und von seinem Kammerdiener Robert angekleidet, da waren vom Mariandl kein roter Spritzer und kein schwarzes Löckchen mehr zu sehen. Noch vor Sonnenaufgang hatten sie Prag verlassen, heimlich wie fliehende Diebe. Seither rumpelte ihre Kutsche moldauabwärts, die Fenster mit weißen Tüchern verhängt. Alles musste bei d’Alembert weiß sein, so weiß wie seine gepuderte Perücke, wie die Strumpfhosen, die sich um sehnige Fechterbeine spannten, wie die gelackte Weste oder das gedrechselte Stöcklein, mit dem er nun den Vorhang vorm Seitenfenster hob.
    Ein greller Sonnenstrahl drang in die Kutschkabine, widerwillig schielte Julius hin. Ah, wie er die Sonne hasste, überhaupt diese fürchterliche Frühlingsheiterkeit! Seit Stunden schon holperten sie den Fluss entlang, auf schmalen Sträßchen, dem wie vor Wut sich windenden Wasserlauf folgend. Und in seinem Kopf immer noch diese Dumpfigkeit, darin die Stimmen Mariandls und des Sternenguckers hallten: »Nur ein paar Schritte noch – alles für Euch, herrliche Gnaden, aber nicht hier!« Am liebsten hätte er die Fäuste auf seine

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