Der Alchimist von Krumau
Sätze, allesamt auf nicht endend, vermehrten sich in ihrem Kopf wie eine schwarze Brut. An Flors Vogel der Nacht musste sie mit einem Mal denken, während sie nach draußen lief, und dann plötzlich, auf der Schwelle zwischen dem dunklen Durchhaus und der Seilergasse, die in gleißendem Sonnenlicht vor ihr lag: Ergeht es mir denn nicht genauso wie dem armen Flor? Sind nicht unser beider Leben aus dem gleichen Lügengarn genäht?
Sie lief die Gasse wieder hinauf, zum Burgtor empor, ohne auf die Gaffer zu achten, die einander verstohlene Zeichen machten oder ihr hinterhersahen, in Fensterluken oder Hoftoren verborgen.
Unsere Väter sind unsre Väter nicht. Und in unsern Herzen kreist die gleiche Lüge, Brüderlein.
47
»Gut, dass Ihr zeitig zurückgekehrt seid, Madame. Die Entwicklungen haben sich – nun: ein wenig beschleunigt.« D’Alembert schwitzte; kein Wunder, dachte Markéta: Sie war kaum ins Frauengemach eingetreten, vorbei an den salutierenden Gardisten, als auch schon der Maître Einlass begehrte. Unablässig wirbelte er sein Stöckchen durch die Luft, Schweißtropfen perlten unter seiner Perücke hervor und fraßen kleine Löcher in die Schminke auf Stirn und Wangen. Die Zofe Bronja, die knicksend herbeigeeilt war, hatte er gleich davongescheucht: »Begib dich geradewegs ins Appartement der Herrin: Johanna von Waldstein und die heiligen Frauen sind angekommen.«
»Johanna? Heilige Frauen?«, wiederholte Markéta.
Aber d’Alembert schüttelte nur den Kopf und sprang zu einem Thema über, das ihn weit stärker zu beschäftigen schien:
»Verzeiht mein Eindringen, Madame. Heikle Kunde ist eingetroffen – aus Prag; Ihre Kaiserliche Majestät erwägen, Burg Krumau einen Besuch abzustatten, nächste Woche schon.«
»Heikle Kunde?«, fragte sie. Ihr selbst wurden allerdings die Knie weich bei dem Gedanken, Rudolf II. gegenüberzutreten, aber war es nicht dennoch eine große Ehre für ganz Krumau?
»Freut Don Julius sich denn nicht, dass sein kaiserlicher Vater…?«
D’Alembert hob die Hand mit dem weißen Stöckchen. »Die Beziehungen sind ein wenig angespannt«, erklärte er. »Die familiären ohnehin, aber wie Ihr sicherlich wisst, geben auch die politischen Verhältnisse Anlass zu großer Besorgnis. Die Feinde des Reichs bedrängen das Land, Katholiken und – hm – Ketzer belauern einander, den Dolch in der Hand, doch der Kaiser hat Mühe, genügend Soldaten auszuheben, um die Widersacher von diesseits und jenseits der Grenzen niederzuhalten, denn die kaiserlichen Schatzkammern sind leer, und der Reichstag …«
Markéta wurde ein wenig schwindlig, sie sank auf ein lachsfarbenes Sofa und lud den Maître ein, es ihr gleichzutun. Auch unten in Krumau, auf dem Markt oder in der Badestube, wurde die politische Misere des Reichs seit Jahren hitzig debattiert, aber Markéta fühlte sich nicht in der Verfassung, heute noch längere Ausführungen zu diesem irrgärtnerischen Thema anzuhören. Nicht gerade jetzt. Ihr eigener Vater, dachte sie, keine Majestät, nur ein feiger Lügner und trauriger Trunkenbold, hatte sie heute schon genügend Kraft und Zuversicht gekostet. Und Johanna von Waldstein hatte ihre und Julius’ Abwesenheit tatsächlich genutzt, um sich handstreichartig hier in Krumau einzuquartieren? Am liebsten wäre sie jetzt einfach ins Bett gekrochen, ungeachtet des Sonnenscheins vor den Fenstern, und im Stillen beschwor sie den Maître, von der politischen Misere abzulassen und geradewegs auf den Anlass seines Besuchs zu sprechen zu kommen.
»Unter diesen Umständen« – d’Alembert ließ sich mit gezierten Bewegungen auf einem Fauteuil ihr gegenüber nieder – »könnten einige Truhen reinen Goldes durchaus Wunder wirken, hinsichtlich der politischen Lage des Reichs und damit auch der Beziehungen zwischen Don Julius und der väterlichen Majestät.«
Nach diesen Worten blickte er sie mit dem gewohnten Lächeln an, doch Markéta kannte ihn mittlerweile gut genug, um auch die versteckteren Zweifel in seinem Mienenspiel zu entdecken.
»Ihr meint – Hezilow?« Sie deutete auf den Boden vor ihren Füßen und sah d’Alembert ungläubig an.
Der Maître bejahte so zurückhaltend, dass es gerade noch als Nicken zu erkennen war. »Wenn Rudolf in einigen Tagen hier erscheint, will Don Julius ihn mit einer großen Demonstration – sagen wir: besänftigen. Oder besser noch: beeindrucken, wenn Ihr mich recht versteht. Vor den Augen Ihrer Majestät soll der Magister eine stattliche
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