Der Alchimist von Krumau
dunkelrot.
Sie trat einen Schritt zurück, versuchte es mit stärkerem Anlauf und drang diesmal bis zur vierten Stufe vor, ehe der ganze Schacht sich wieder erbebend zusammenzog. Schauer überliefen sie, in immer rascheren Wellen, aus dem schimmernden Samt, aus Stufen und Wänden knospten zitternde Fühlpunkte hervor. Eine Muschel, keine Treppe, dachte sie, mit unzähligen winzigen Fühlern, die sie umschmiegten, liebkosten, sie selbst und jenen Jemand, der, so geheimnisvoll mit ihr verbunden, nun neuerlich hinausglitt und mit stärkerem Schwung zurück in die Tiefe stieß.
»Alles hat männliche und weibliche Prinzipien, Geschlecht offenbart sich auf allen Ebenen!«, hörte sie mit heller Stimme deklamieren, untermalt von Donnerschlägen, und da erst dämmerte ihr, dass sie selbst die wunderlichen Worte schrie.
Alles ich, alles wir, dachte sie, in die Muschel tauchend, den Taucher umschlingend, zurückwerfend, wieder hinabsaugend, hinabgesogen, immer schneller, mit immer wilderem Schwung. Welle um Welle durchflutete sie, immer süßere, immer heißere Wogen, dann stieß der Taucher ungestüm wie nie in die Tiefe, und die ganze funkelnd rote Muschel zog sich zusammen, wieder und wieder erschauernd vor Glückseligkeit.
Für einen winzigen Moment war die Nebelwand tatsächlich zerrissen, dahinter kam Mutter Bianca zum Vorschein, den Mund schon geöffnet, um ihr endlich die Botschaft zuzurufen.
Doch da erschallte ein Schrei, und sie fuhr aus ihrem Traum, keuchend und schweißüberströmt.
Schwarze Nacht umgab sie, ein Arm lag auf ihrer Brust, schwer und warm. Julius, dachte sie, abermals erschauernd, doch dann ertastete sie eine schmale Schulter, verworrene Locken und schob ihn hastig von ihrem Leib.
Sie wagte kaum zu atmen, bis die Kerze endlich sein Antlitz beschien: elfisch bleich, die zwiefarbenen Augen verengt zu Schlitzen, der Mund noch geöffnet von seinem Schrei.
Sie beide starrten einander an wie Gespenster, nein, wie Traumbilder, hinübergesprungen in die wache Wirklichkeit.
Die gräfliche Geliebte, dachte Markéta, in den Armen ihres Schicksalsbruders. Beinahe hätte sie laut aufgelacht, ein Gelächter des Entsetzens, das unfehlbar in Schluchzen umgeschlagen wäre; doch in diesem Moment begannen die Glocken der St.-Veit-Kirche feierlich die Stunde zu läuten, und Markéta hielt aufs Neue den Atem an und zählte: drei – sieben – neun – zehn, gefolgt von zwei dünneren Schlägen.
Eben noch Zeit genug, den Schlaf aus den Augen zu krümeln und in die Kleider zu fahren, ehe drunten in »Hezilows Helle« das nächste unterweltliche Spektakel begann.
48
Er fühlte sich so ruhig wie selten in seinem Leben, gespannt wie ein Armbrustbogen und doch ganz gelassen, seiner Sache gewiss. Die Probe würde gelingen, kein Zweifel.
In seiner Phantasie hatte er die Szene schon tausendmal vor sich gesehen, allerdings mit sich selbst anstelle von Hezilow. In diesen Tagträumen waren er und seine Gehilfen, Fabrio und Lenka, Flor und Markéta, der alchimistischen Kunst stets in völliger Nacktheit nachgegangen. Den mystischen Pelikan, sagte sich Julius, trug er ohnehin stets bei sich, wohlgefällig spürte er die kristallene Härte unter seinem Habit.
»Alchymische Wollust«, wie Hezilow derlei nannte, hielt ihn in ihrem Bann, seit er die Goldprobe anberaumt hatte. Wäre Madame Markéta nicht heute Mittag stracks aus der Burg gelaufen, die störrische Schöne wäre ihm nicht davongekommen ohne ernstliche Erprobung des goldenen Tiegels, den sie zwischen ihren Schenkeln verbarg.
Und jetzt, da er all seine Aufmerksamkeit auf Hezilow richten musste, lehnte sie neben ihm an der Säule, so nah, dass ihre Schulter seinen Arm berührte und er mit jedem Atemzug den Geruch ihres Körpers einsog. Alchymische Wollust, dachte er wieder; ich riech’s ja, auch sie giert mit jeder Pore ihres Leibes nach dem Mirakel der Verschmelzung.
Kein Wunder, dass just am heutigen Tag, gelenkt von eifersüchtiger Hellsicht, seine ewige Verlobte eingetroffen war, in Begleitung eines Dutzends dominikanischer Nonnen. Ihr könnt genauso gut gleich wieder abreisen, Johanna, dachte er: Nie werd ich Euch freien, fromme Freifrau, wie beflissen Ihr auch alle Demütigungen duldet – ja gerade darum nicht!
Zu seiner Linken stand, wie immer, soweit er zurückdenken konnte, Maître d’Alembert. Sie alle drei beobachteten den Puppenmacher, der sich am Athanor zu schaffen machte, vor dem zwei seiner Gehilfen knieten und wie besessen den
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