Der Allesforscher: Roman (German Edition)
Geburtsvorgang zu überwachen. Aber sie bestanden nun mal darauf, daß ich es tat.
Absolut nichts Ungewöhnliches geschah. Kein Schamanismus oder so. Keine Gesänge, kein Weihrauch, nur eine Frau mit Schmerzen, der ich immer wieder mit einem kühlen Tuch über die Stirn strich. Alles, was ich tat, hatte ich aus dem Kino oder dem Dokumentationsfernsehen. Glücklicherweise verlief die Sache ohne jegliche Komplikation, das Kind hatte offensichtlich nicht vor, nur um meine Unerfahrenheit zu beweisen, sich länger als nötig im Geburtskanal aufzuhalten. Ich rief fortgesetzt Pressen! und Atmen! und Atmen nicht vergessen! und Ruhig atmen! und Durchatmen! und Schön atmen! – es schien, als wäre ich von der Fraktion derer, die meinten, ein Kind könne allein durch richtiges Atmen auf die Welt gebracht werden. Jedenfalls erkannte ich bald den glatten, feuchten, ein wenig blutigen Schädel zwischen den Beinen, mittig ein kleines Büschel heller Haare, und erklärte mit einer ruhigen Stimme, die mich selbst beeindruckte: »Der kommt jetzt.«
»Es ist eine Sie«, sagte die Chefin hinter mir.
Klar, daß sie mehr wußte als ich. Aber ich ließ mich nicht durcheinanderbringen, gab weiterhin Anweisungen bezüglich »guten Atmens« und faßte vorsichtig nach der weichen Schädeldecke des Neugeborenen. Ich tat wirklich nicht mehr, als den Kopf einfach wie eine Melone umfaßt zu halten. Das Kind drehte sich ganz von selbst heraus. Wären die Männer vom Stammtisch dabeigewesen, sie hätten sicher gemeint, die Kleine sei so schnell gekommen, um sich nicht weiter mein Gequatsche von wegen Atmung anhören zu müssen.
Wie auch immer, das Kind flutschte mit Leichtigkeit ins Freie, in die neue Welt. Es war in der Tat ein Mädchen, mit einem Haarschopf, als wäre es schon vor seiner Geburt beim Friseur gewesen. Jetzt dachte ich kurz nach, ob ich die Kleine allen Ernstes kopfüber an den Beinen halten und ihr einen Klaps auf den Po geben sollte. War das heute noch üblich? Oder nur noch in alten Filmen? Und was war mit der Nabelschnur? Sofort durchtrennen? – Man hätte mir Zeit geben sollen, mich zu informieren.
Ich stand einfach da und hielt das Kind in den Händen. Vergaß immerhin nicht, den kleinen Kopf zu stützen. Dabei schaute ich die Mutter an, fragte sie, wie es ihr gehe und wie sie ihr Kind nennen werde.
Die Nachfrage mochte etwas aufgesetzt scheinen – in der Tat betrachtete mich die Chefin mit einer härteren Version ihres Kirschblickes –, die Mutter aber sah mich dankbar an. Sie sagte: »Nana.«
Tirolerisch war das nicht. Aber hübsch. Das sagte ich auch. Und fragte mich, was ich wohl geantwortet hätte, hätte das Kind Nancy geheißen. Aber bei so viel Glück mit der Geburt war eben auch der Name ein Glück.
Die Chefin nahm mir nun das Neugeborene aus der Hand, umwickelte es mit einem Tuch und legte es der Mutter auf die Brust. Was auch immer jetzt noch kam – Nabelschnurdurchtrennung, die Untersuchung der nachfolgenden Plazenta, das Trockentupfen des Kindes –, es war nicht mehr mein Job. Ich durfte gehen.
Es geschah übrigens später nicht, daß mich irgend jemand als »männliche Hebamme« ansprach, auch war ich in keiner Weise in die Pflege des Kindes oder die Pflege der Mutter involviert. Niemand verlangte nach meinen guten Ratschlägen. Auch blieb man mir eine Erklärung schuldig, wieso ausgerechnet ich ausgewählt worden war, diese Geburt zu begleiten.
»Vielleicht«, sagte Auden, »waren Sie für die so etwas wie der gute Geist.«
Bei Geist dachte ich an jemand Toten, der noch immer unter den Lebenden wandelte, wenigstens deren Träume bevölkerte, jemanden wie Astri, jemanden wie den Zehn-Millionen-Mann, wobei der sicher kein guter Geist war.
Zu Mercedes sagte ich: »Genau, wie Sie mir im Traum vorausgesagt haben.«
»Und wie war es?«
»Ich hatte Glück mit dem Kind«, sagte ich. »Eine Bilderbuchgeburt.«
Stimmt. Das Kind namens Nana hatte es vermieden, bereits in diesem ersten frühen Stadium das wesentlichste Element des Lebens zu leben: die Komplikation.
34
Mit der Geburt Nanas wurde das Wetter ein wenig besser. Der Schnee fiel gemächlich, und man konnte wieder mehr sehen als bloß die eigene Hand.
Ich stand mit Auden und anderen auf der Terrasse. Ein Trupp Männer war oben auf dem Dach und reparierte die Antenne. Die Chefin kam heraus und warf ihnen einige Flaschen Bier hoch. Dann trat sie zu uns hin, zu mir und Auden, und sagte: »Habt ihr Angst?«
»Wovor?« fragte ich. Und
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