Der Allesforscher: Roman (German Edition)
Kaspreßknödel ein. Sehr zu Recht, wie ich sagen muß. Die besten Knödel ihrer Art herzustellen schien der unbedingte Ehrgeiz des Kochs und seiner beiden Gehilfen zu sein, die man fast immer nur in ihrer »Werkstatt« sah. Kamen sie einmal heraus, so standen sie kurz an der Theke, wo sie eine Zigarette rauchten und ein Bier sowie den obligaten hellen Schnaps tranken. Einer der Gehilfen war ein Asiate, der mir sogleich auffiel, weil er recht großgewachsen war, vor allem aber wegen der Art und Weise, wie er seine Zigarette hielt, was ungemein aristokratisch anmutete. Der ganze Mann wirkte, als wäre er der Kaiser von China, der gerade Europa besuchte, um die Herstellung von Kaspreßknödeln zu studieren und anschließend in die chinesische Küche zu integrieren. Allerdings erfuhr ich dann, daß der Mann Auden hieß. Ich meine, welcher Chinese bitte schön heißt Auden? Noch dazu mit Vornamen. Auden Chen.
Als ich das erste Mal mit ihm ins Gespräch kam – sein Deutsch besaß einen französischen Akzent, einen Aznavourschen Tonfall –, bestätigte sich mein Verdacht betreffs der Vornehmheit dieser angeblichen Küchenhilfe. Allein seine Haltung! Gleich einem Herrenschirm, der aber nie aufgespannt wird, sich keinen Moment um einen blöden Regen kümmert, sondern einzig ein stilvolles Flanieren unterstützt. Zudem unterließ es Auden Chen völlig, mich auf Simons asiatisches Aussehen anzusprechen. Er erwähnte bloß die Sprache Simons, die er überaus interessant fand. Er sagte, er habe noch nie etwas Derartiges gehört.
»Niemand hat das«, antwortete ich und erklärte, es handle sich um eine Art von Privatsprache.
Ich war nun meinerseits weit weniger zurückhaltend als Auden Chen und wollte von ihm wissen, woher er eigentlich stamme.
»Aus Taiwan«, antwortete er. »Aber das ist so lange her. Ich meine damit, es kommt mir vor, als wäre es vor hundert Jahren gewesen. Mein Leben ist damals sehr anders verlaufen. Die ganze Welt ist anders verlaufen.«
Es versetzte mir einen Stich, wie er da den Namen der mir vertrauten Insel nannte.
Nun gut, derartiges geschah. Menschen, groß und klein, verließen ihre Heimaten und verteilten sich. Es war nicht wirklich ein Wunder, daß zwei Taiwaner in eine Tiroler Hütte gelangt waren. Der eine als Kind, der andere als Koch. Trotzdem verschwieg ich, daß Simon aus demselben Land wie Auden kam. Wobei ich meine Scheu nicht begriff. Was wäre schon dabei gewesen?
Statt dessen fragte ich Auden, woher er seinen Namen habe.
»Von meinen Eltern.«
»Ich meine den Vornamen.«
»Auch von meinen Eltern. Sie sind große Fans von Auden, Auden, dem englischen Schriftsteller.«
»Dablyu-aitsch«, nannte ich die bekannten Initialen, gestand aber gleich, nur ein einziges Gedicht dieses Autors zu kennen, und das aus einem Film.
Wie um mich mit einem solchen Geständnis nicht allein zu lassen, verriet mir Auden, vor etwa zehn Jahren seinen richtigen Namen – also Auden Chen, denn das war ja sein richtiger – abgelegt und mit Hilfe gefälschter Papiere eine neue Identität angenommen zu haben.
»Ich war auf der Flucht«, sagte er. »Aber nicht, weil ich selbst kriminell war, sondern gezwungen, sehr gezwungen, einigen Kriminellen zu entkommen. Das ist aber lange vorbei, und ich denke nicht, daß ich diese Leute noch fürchten muß. Darum habe ich vor kurzem wieder begonnen, meinen alten Namen zu verwenden.«
»Was doch eigentlich bedeuten würde, daß Sie auch wieder heim nach Taiwan könnten.«
»Zurück in mein altes Leben? Nein, wirklich nicht. Es geht mir gut hier.«
»Als Küchenhilfe?«
»Was tun Sie denn for a living?« fragte Auden.
»Ich bin Bademeister in Stuttgart«, sagte ich.
»Waren Sie das immer schon?«
Er hatte mich erwischt. Im Grunde befand ich mich in einer durchaus ähnlichen Situation wie er. Vom Manager zum Retter der Enten. – Und er? Was war er vorher gewesen?
Ich stellte die Vermutung an, er sei früher einmal ziemlich reich gewesen.
»Ganz passabel«, antwortete er.
»Und wie ist es so, in der Küche zu stehen?«
»Am Anfang war es Tarnung«, erklärte er. »Ich war froh, daß Marlen, unsere Chefin, mich aufgenommen hat. Hier oben. Als ich noch ein Versteck brauchte. Sie ist eine gute Frau. Streng, aber gut. Früher war ich viel unterwegs. Jetzt stehe ich die meiste Zeit am gleichen Flecken, vor einem Küchenherd. Aber es gefällt mir, wie es mir gefällt, mit den immer gleichen Leuten zusammenzusein. Den Wald vor dem Haus zu kennen, wirklich
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