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Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Titel: Der Allesforscher: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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der Lage gewesen, einen Menschen ernsthaft zu lieben, den zu beschreiben ich kaum in der Lage war. Den zu beschreiben ich mich auch gar nicht sehnte. Vielmehr Tag für Tag die hübsche Durchschnittlichkeit dieser Person feststellend. Es war, als würde ich ein Modejournal durchblättern und mir die immer gleichen Models in den immer gleichen Posen ansehen. Frauen, die in Summe eine »Brigitte« ergaben. Meine Brigitte war eben Lydia. Zur Liebe aber reichte das nicht, während ich überzeugt war, wäre ich zu Lana zurückgekehrt, ich hätte mich täglich von neuem an eine Frau mit Ärztekittel oder rotem Kostüm verloren.
    Der grundsätzliche Irrtum war gewesen zu meinen, Lydia genüge die Fassade familiärer Bindung. Die ja keineswegs eine Lüge darstellte, denn weder war die Fassade aus Pappe noch aus Styropor. Weder ging ich dauernd fremd, noch ging Lydia dauernd fremd, noch stritten wir uns bis auf Blut. Es fehlten allein die zärtlichen Momente. Lydia sagte einmal: »Wenn du mich küßt, kommt mir das vor, als berühre mich ein Geist. Ein kalter Hauch. Brrr!«
    »Hat das nicht auch was Romantisches?« fragte ich.
    Sie aber meinte: »Mit einem Geist kann man nicht leben. Mit einem Eisklotz eher, aber nicht mit einem Geist.«
    »Ach was, Lydia, du übertreibst.«
    Aber sie hatte absolut recht. Befremdlich erschien mir allein der Haß, mit dem sie nach und nach auf meine »Geisterhaftigkeit« reagierte. Wobei sich Lydia nicht allein als gekränkte Seele erwies, sondern gleichermaßen als beinhart. Letzteres war wohl ihrer Modernität geschuldet. Der zeitgemäße Akt der Rache: das Einschalten raffinierter Anwälte.
    Ich weiß, was die finsteren Advokaten angeht, wiederhole ich mich. Aber wer wollte mir nicht zustimmen?
    Als die Scheidung erfolgt war, hatte ich so gut wie alles verloren: die Frau, die Schwiegereltern, das Zuhause, den Job, eine Menge Geld, zudem kursierten ungute Gerüchte über mich. Wenig Konkretes, eher der dubiose Verdacht, etwas mit mir stimme nicht. Der Verdacht, ich hätte die Sache in Tainan nie ganz überstanden. Was ja etwas für sich hatte.
    Ich war verdächtig. Und nachdem ich geschieden war, war ich’s erst recht.
    Wie gesagt, es blieb mir selbst ein Rätsel, wieso ich damals, als ich aus Japan zurückgekommen war, meine Ankündigung nicht wahrgemacht hatte und nach Tainan gereist war. Um Lana wenigstens noch ein Mal zu begegnen. Aber ich sah sie nie wieder.
    Meine gescheiterte Ehe erschien mir darum wie eine Strafe. Vor allem auch der Verlust des Jobs. Gerade noch Juniorchef, stand ich, beruflich gesehen, auf der Straße und im Abseits. Niemand wollte mich. Das Stigma aus Walunfall und Flugzeugunfall, das zwei Jahre lang ein diabolisch-interessantes Mal gewesen war, stand jetzt wieder auf der Seite des puren Makels .
    Immerhin begriff ich, wie sehr diese Strafe dazugehörte. Ich hatte meine Liebe zu Lana verraten. Und da war es nur gut und richtig, damit nicht durchgekommen zu sein.
    Aber die Strafe war noch nicht zu Ende. Als ich jetzt nämlich das Versäumte nachholen wollte und in dem Tainaner Krankenhaus anrief, um mich nach Frau Dr. Senft zu erkundigen, wurde mir zuerst einmal die Auskunft verweigert. Man empfahl mir, mich an die Botschaft zu wenden. Doch ich blieb stur und erinnerte an die Sache mit dem Pottwal, die mich vor über zwei Jahren in Kontakt zu Dr. Senft gebracht hatte. Nun wußte man gleich, wer ich war, und stellte mich zum Klinikdirektor durch, der sich übertrieben freundlich nach meiner Gesundheit erkundigte. Aber das war es nicht, worüber ich reden wollte. Ich fragte nach Frau Dr. Senft. Er senkte seine Stimme, als spreche er aus der Spalte eines Marillenkerns heraus, und erklärte mir, daß »this wonderful lady and fine colleague« ein Jahr zuvor, im November 2005 , am Vierzehnten des Monats, verstorben sei.
    »Was …?« Ich schrie es. Ich schrie es ohne Ton.
    »Mr. Brown?«
    Für einen Augenblick war ich meinerseits tot. Tot und leer.
    Ich stand da, den Hörer am Ohr, bewußtlos auf erfrorenen Beinen stehend, unter mir die Bodenlosigkeit. Irgendwann fragte ich, woran sie gestorben sei.
    »Ein Gehirntumor«, sagte der Direktor.
    Sollte das ein Witz sein?
    Kein Witz, auch wenn es zu Lana gepaßt hätte zu meinen, es sei ganz typisch – eine Ironie der Wirklichkeit –, genau an der Sache zu erkranken, mit der man sich so lange beschäftigt hatte. Wie Leute, die nach und nach ihrem Hund ähnlich werden oder ihrem Lebenspartner. Man steckt sich beim anderen

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