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Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Titel: Der Allesforscher: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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zu sein: ob des ersten Unfalls belächelt und ob des zweiten stigmatisiert. In der Tat hieß es, ich sei verflucht, weshalb es nötig war, diesem Image eine nützliche Richtung zu geben. Die Gewichtung vom Lächerlichen weg und mehr zum Stigma hin zu verschieben. Eher Mal als Makel . Unter der Hand drohte ich den Leuten mit dem Verderben, das meiner Person anhaftete. Wie man mit Kollektivschuld droht. Solcherart wurde ich unbeliebt, aber auch gefürchtet. Was genau ich dabei arbeitete, war nicht das Thema. Das ist es sowieso nie.
    Neben dem Beruflichen versuchte ich natürlich auch das Private zu bereinigen, also meine Verlobung aufzulösen. Doch der einst mit so viel Freude erwartete Moment, da ich Lydia und ihren Eltern, Walter und Grita, Wallace & Gromit, dies eröffnen würde, verpuffte. Es kam mir einfach nicht über die Lippen, als sie mich, den Überlebthabenden, empfingen, jedoch kein Wort über den Wal verloren, allein das Flugzeug erwähnten. Lydias Eltern nannten mich zum ersten Mal »mein Junge«. Lydia blieb die ganze Zeit über in meinem Arm eingehängt, während ich ihrem aufgeregten kleinen Bruder in sämtlichen Einzelheiten den Absturz beschreiben mußte.
    Später, beim Cognac, legte mir Lydias Vater seine Hand auf die Schulter, als setze er dort ein kleines Klavier mit abgesägten Beinen ab, zog mich ein Stück heran und erklärte: »Junge, wenn du willst, kannst du bei mir arbeiten. Weyland ist eine Sackgasse.«
    Ich nickte, dankte ihm und sagte, ich wolle es mir überlegen.
    »Und noch was, Sixten, heirate Lydia so schnell als möglich.«
    War es ein Befehl gewesen? Ein freundlicher Befehl? So freundlich wie zwingend?
    Richtig, ich war sicher nicht der Leibeigene dieser Leute. Aber …
    Der Mensch geht in Fallen. Er sieht sie ganz deutlich, jedes Detail, nur eines sieht er nicht, die Wege, die um diese Fallen herumführen. Dabei hätte ich wirklich zu allem »Nein« sagen können, niemand hätte mich dafür gehängt. Doch ich brachte es einfach nicht fertig. Nach einem kurzen Schweigen meinerseits – während Lydias Vater die Hand von meiner Schulter nahm und mit leichtem Druck meinen Oberarm umfaßte, als prüfe er, ob auch genug Fleisch auf meinen Knochen war –, sprang ein »Ja« aus meinem Mund.
    »Versprochen, Sixten?« fragte er.
    »Versprochen, Walter.«
    »Papa, sag Papa zu mir. Das würde mich sehr freuen.«
    »Ja, gerne, Papa.«
    War es einfach so, daß man sich scheute, Menschen zu enttäuschen? Daß man sich scheute, die Peinlichkeit einer Ablehnung oder Zurückweisung zu riskieren? Ein Geschenk auszuschlagen? Ich hätte mit einer Auflösung meiner Verlobung nichts riskiert, wenigstens nicht viel, dennoch bat ich am selben Abend noch einmal um Lydias Hand, diesmal ihre Eltern so formvollendet wie umständlich darum ersuchend. Genau in der Art, wie Lydia es sich immer gewünscht hatte.
    Kann man das begreifen? Entbrannt in meiner Liebe zu einer deutschen Ärztin in Tainan, gab ich nur wenige Monate später Lydia das Jawort. In der Kirche selbstverständlich. Denn so modern, wie Lydia und ich waren, und sowenig wir mit der Kirche was am Hut hatten, fügten wir uns dem Sinn und Zweck des Rituals. Weiß zu heiraten war so notwendig, wie schwarz beerdigt zu werden. Anders gesagt, Lydia wäre lieber gestorben, als sich die Schmach einer unweißen Heirat anzutun.
    Klar, man konnte sagen, Frau Dr. Senft hatte mich zuvor abgewiesen. Mich zumindest aufgefordert, daheimzubleiben und mein altes Leben wiederaufzunehmen. Aber das war schließlich kein Grund, den Betrug, den ich an Lydia begangen hatte, dadurch auszuweiten, sie jetzt auch noch zu heiraten. Frei von Liebe, frei vom Bedürfnis, tatsächlich auf den Tag zu warten, da der Tod uns scheiden würde.
    Was wir dann ja auch nicht taten, sondern sehr viel früher auseinandergingen, nach zwei Jahren Ehe. Wobei ich leider auch gezwungen war, von ihrem Vater Abschied zu nehmen, in dessen Unternehmen ich eingestiegen war. Unsere Scheidung – also die zwischen dem Schwiegervater und mir – war die friedlichere. Es tat ihm aufrichtig leid, denn er schätzte meine Mitarbeit, meinen Ehrgeiz, meine nüchterne Sicht, doch Lydia hatte mich in diesen zwei Jahren hassen gelernt und bestand darauf, mich ganz und gar aus ihrem Leben und dem ihrer Familie zu entfernen. Zu meiner Überraschung fußte ihr Haß auf der Erkenntnis, von mir nie wirklich geliebt worden zu sein. Ich hatte nicht gedacht, es würde darauf ankommen. Und wäre auch gar nicht in

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