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Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Der Allesforscher: Roman (German Edition)

Titel: Der Allesforscher: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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aufgenommen zu werden, so trauerte sie nun um ihn wie um die Liebe ihres Lebens. Der tote Erich schien sehr viel begehrenswerter als der lebende.
    Nicht, daß Kerstin mich vergaß. Wir schickten uns Mails und telefonierten, und nach zwei Monaten sahen wir uns auch wieder, trafen uns auf halbem Wege zwischen Stuttgart und München, in Ulm. An einem für einen Reim und einen Dom berühmten Ort, was besser ist, als für seine Hooligans berühmt zu sein.
    Ich hatte Simon mitgenommen, und er war sichtbar glücklich, Kerstin zu sehen. Ich meinerseits blieb auf Distanz, wollte ihr nicht zeigen, wie sehr ich litt. Das hatte ja Erich bereits versucht, sein Leiden offenbart, was ihm wenig genützt hatte. Leiden macht häßlich, wenn man kein Engel oder kein Hund ist oder nicht von Schiele oder Munch porträtiert wird.
    In Ulm wirkte Kerstin abwesend. Sehr blaß und sehr dünn. Sie mußte in diesen zwei Monaten einiges abgenommen haben. Simon hielt ihre Hand, als hätte er die Teile dieser Hand gerade mit Uhu zusammengeklebt und traue sich nun nicht, sie wieder loszulassen. Er hatte bereits begriffen, daß die eigentliche Aufgabe der Kinder darin bestand, die Erwachsenen zu trösten. Auch wenn es umgekehrt sein sollte. Aber selbst wenn man eine schlechte Schulnote bekam, mußte man seinen Eltern begreiflich machen, daß das nicht das Ende der Welt sei.
    Wir redeten nicht viel, saßen in einem Café, und jeder nippte an seinem Getränk. Ein paar belanglose Worte über die Arbeit und den Alltag. Kein Wort hingegen über Erich, der jedoch spürbar mit am Tisch saß. Vor allem meinte ich zu erkennen, wie sehr er triumphierte. Wie sehr es ihn befriedigte, ohne den Aufwand von Worten und eines Körpers Kerstin zu beherrschen. Sich in ihrem Kopf festgesetzt zu haben, so daß sie unfrei war. Unfrei, sich von mir auch nur anfassen zu lassen. Als ich es am Schluß dennoch versuchte, sie an der Schulter berührte und ihr einen Kuß auf die Wange gab, meinte ich ein Fossil zu küßen, einen Abdruck. Und zwar einen tiefgekühlten, tiefgekühlt, um zu verhindern, daß irgendeine uralte Seuche ausbrach.
    Ulm ging vorbei. Aber die richtige Eiszeit begann erst. Ich durfte kaum hoffen. Eher war zu befürchten, daß Kerstin sich entschied, ins Kloster zu gehen. Sie trauerte wie eine ewige Witwe.
    Ich haßte Erich. Und fragte mich, wie man einen Toten ausschalten konnte.
    Der Haß hinterließ eine Spur in meinem Gesicht. Meine weiblichen Stammgäste im Bad Berg fragten mich. »Was ist los mit Ihnen, Herr Sixten? Sind Sie krank?«
    »Gewissermaßen.«
    Eine der Damen erklärte: »Was Sie brauchen, ist nicht Liebeskummer, sondern eine Frau. Ich meine, so blendend, wie Sie aussehen, kann doch der kleine Simon kein Hindernisgrund sein.«
    Sie hatte es nicht böse gemeint. Aber so dachten die Leute nun mal.
    Die Zeit verging. Wobei ich nicht begriff, daß sie für mich arbeitete, die Zeit. Sowenig es stimmte, daß die Zeit die Wunden heilte, war es aber so, daß mitunter mit der Zeit die Verursacher der Wunden verschwanden. Daß zum Beispiel die Toten das Interesse an den Lebenden verloren, daß jemand wie Erich keine Lust mehr verspürte, ständig als besitzergreifender Geist Kerstin zu umschwirren, täglich durch ihr Hirn zu wandeln und sie zu berühren .
    Nicht Kerstin löste sich von Erich, sondern er sich von ihr. Das mochte sie schmerzen, noch mehr als sein Tod, aber es machte sie frei. Nach und nach.
    Das alles dauerte ein ganzes Jahr.
    Und dann geschah es, daß Kerstin mich aus München anrief und sagte: »Wir wollten doch zu diesem Berg fahren, um deiner Schwester Blumen zu bringen.«
    »Gott, Kerstin, es ist lange her, daß wir das ausgemacht haben.«
    »Na und? Warst du denn in der Zwischenzeit schon dort?«
    »Nein, das nicht …«
    »Was spricht dann dagegen? Das eine Jahr? Als ich sieben war, hat mir mein Vater einen Aquarellkasten geschenkt. Und als ich dann siebzehn war, habe ich zu aquarellieren begonnen. Manches dauert. Manches geschieht nie.«
    Ich konnte mir Kerstin aquarellierend gar nicht vorstellen. Ich fragte sie: »Willst du malen in den Bergen? Im Ernst?«
    »Das wäre doch eine schöne Idee. Ich könnte es Simon beibringen. In der Natur malen ist zwar ein bißchen von gestern: Romantik, Biedermeier, Volkshochschule – aber es macht Spaß! Könntest du auch versuchen.«
    Die Malerei war sowenig meine Sache wie das Klettern, das ich im vergangenen Jahr zwar betrieben hatte, ohne aber meine Angst verloren zu haben. Obgleich

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