Der Allesforscher: Roman (German Edition)
Wäsche und stand bereits nackt vor mir, als ich eben erst mein Hemd ausgezogen hatte und ihr meinen Oberkörper präsentierte.
»Wow!« sagte sie. »Du hast echt eine gute Figur.«
Ich dachte mir, was für ein Glück es war, wieder mit dem Sport angefangen und die Schokolade gestrichen zu haben. Drei Jahre zuvor wäre ich mit einem, wie man so sagt, Schwimmreifen vor ihr gestanden. Und hätte widerlich ausgesehen. Denn etwas in die Breite zu gehen war viel schlimmer, als wenn Männer richtig auseinandergingen, mächtig und voluminös wurden. Am häßlichsten war dieses Angespecktsein , dieses Dicksein der eigentlich Dünnen.
Wie auch immer, ich war froh um den Anblick, den ich bot. Wie aber auch um den Anblick, den Kerstin bot. Sehr mädchenhaft, nicht wie ein Kind, natürlich nicht, aber mehr eine Achtzehnjährige als die Vierundzwanzigjährige, die sie tatsächlich war. Ihr Körper machte auf mich einen chinesischen Eindruck – zierlich, aber nicht zerbrechlich; von nichts zuwenig und von nichts zuviel, etwa ihr Busen, der auch ohne BH gehalten wirkte; die Arme und Beine sehr gerade; ein kleiner Bauch, darauf ein Nabel gleich dem Atemloch eines Delphins; das auf dem Kopf stehende Dreieck rötlicher Schamhaare, das ihrem Geschlecht eine geometrische Disziplin verlieh.
Meine Güte, war ich jetzt schon in dem Alter, wo ich mich nach Frauen sehnte, die noch Mädchen waren oder zumindest mädchenhaft? – Um mich woran zu erinnern? An die Peinlichkeiten beim ersten Mal? Daran, sich nicht auszukennen? Daran, zu früh zu kommen? Daran, sich schmutzig zu fühlen?
»Willst du mich noch lange so anschauen?« unterbrach Kerstin meine Nachdenklichkeit. »Ich meine, du kannst ruhig. Es ist nur komisch, solange du selbst halb angezogen bleibst.«
Ja, das wäre dann wie im Kino gewesen, wenn die Frauen ganz nackt sein mußten und die Männer fortgesetzt mit Badetüchern oder Shorts oder dank Kameraführung von der Taille aufwärts durch die Szenerie liefen.
»Klaro«, sagte ich und schlüpfte aus Hose und Unterhose und streifte mit den Füßen meine Socken ab.
Wir schmiegten uns aneinander und waren ein Paar.
Was hätte Lana dazu gesagt?
Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, ihr untreu zu sein. Die Affären davor waren nur fürs Bett gewesen – als blättere man in einem Sexheftchen, aus dem dann richtige Frauen herausstiegen –, aber jetzt war es anders, ein Gefühl tiefster Zuneigung. Ich zitterte.
»Ist dir kalt?« fragte Kerstin.
»Ja«, antwortete ich. (Ich habe gelesen, der Mensch lügt zweihundertmal am Tag. Mag sein, daß auch diese Zahl eine Lüge ist, aber bei hundertmal am Tag würde ich sofort mit unterschreiben.)
Die Lüge brachte mich zusammen mit Kerstin unter die Decke, wo sich unser Verlangen weiter steigerte.
»Moment«, keuchte ich, »nimmst du die Pille? Oder soll ich mir einen Gummi holen?«
Stimmt, wir waren im einundzwanzigsten Jahrhundert und das Präservativ in einem solchen frühen Stadium obligat. Aber darum fragte ich nicht. Ich verspürte nicht die geringste Angst, mich anzustecken. Als schwebe über Kerstin eine kleine Leuchtschrift, einige hübsch geschwungene Neonröhren, welche die Aufschrift gesund ergaben.
Aber ganz gesund war Kerstin doch nicht. Denn sie schob mich ein klein wenig von sich weg, und ich erkannte die Falte zwischen ihren Augen und den Kummer in ihren ungleichen Augen. Sie sagte: »Ich kann keine Kinder kriegen. Ich hab’s schriftlich. Aber nicht wegen einer Krankheit, die du fürchten müßtest. Wenn du aber … wenn du eine Frau willst, mit der du Kinder haben kannst, dann …«
Obzwar es natürlich zu früh war, so etwas zu sagen, meinte ich dennoch: »Wir haben Simon. Er genügt uns doch, oder?«
»Absolut«, sagte sie und nahm mich fest in ihre Arme. Und ich sie in meine. Nicht, daß wir jetzt verschmolzen, aber für einen gewissen Moment hatte ich das Gefühl, mehr bei ihr als bei mir selbst zu sein. Wie man sagt: zu Besuch am fremden Ort. Und es gibt ja fremde Orte, wo man gar nicht mehr weg möchte.
Aus der einen Nacht wurde ein ganzer Tag und eine weitere Nacht, dann aber mußte Kerstin frühmorgens zurück nach München beziehungsweise München-Taipeh, wie sie es bezeichnete.
Doch zuvor besprachen wir abermals unseren geplanten Ausflug nach Tirol, um den Berg zu sehen, der ja Astri nicht nur das Leben gekostet hatte, sondern auch ihr Lieblingsberg gewesen war. Und dessen österreichischen Erstbesteiger sie zu ihrem Lieblingsalpinisten
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