Die Besteigung Des Rum Doodle
Einleitung von Bill Bryson
V or vielen Jahren, in den Tagen, ehe mein Haar begann, von meinem Kopf zu verschwinden und sich ein geschützteres Dasein in meinen Ohren und Nasenlöchern zu suchen, verbrachte ich meine Nachmittage und frühen Abende als Redakteur des Wirtschaftsteils der
Times
.
Die Arbeit war unproblematisch, und zu den weiteren Vorzügen des Jobs zählten Kantinenmahlzeiten, deren Wert im Wesentlichen darin bestand, dass sie keinerlei Auswirkungen auf den normalen Stoffwechsel zu haben schienen, das Recht auf eine kleine, jeden Monat in bar ausgezahlte Erstattung von gänzlich fiktiven Spesen (die nichtsdestoweniger gewissenhaft und erfinderisch auf einem länglichen Abrechnungszettel aufgelistet wurden) und die Gelegenheit, zwei- bis dreimal im Jahr Philip Howard dabei zu helfen, seinen Schreibtisch wiederzufinden, indem man ihm ein paar der zigtausend Bücher abkaufte, die seine Redaktion in den Monaten zuvor als Rezensionsexemplare erhalten hatte, die aber nicht in die engere Wahl gekommen waren, oft genug, weil sie sehr schlecht waren und niemanden im Geringsten interessierten. Die verkaufte Howard nun zu Schleuderpreisen an dankbare Mitarbeiter und spendete den Erlös wohltätigen Organisationen.
Da diese Verkäufe im Allgemeinen zwischen drei und vier Uhr nachmittags veranstaltet wurden – eine Zeit, zu derdie meisten Reporter noch beim Mittagessen waren –, blieben die Redakteure dabei praktisch unter sich. Es passiert nicht oft, dass ein Redakteur Anzeichen plötzlichen Elans erkennen lässt, ja sich überhaupt bewegt, aber die Ankündigung eines solchen Bücherverkaufs hatte stets eine elektrisierende Wirkung auf das Redaktionsbüro. Es dauerte keine Minute, und 60 oder mehr Arbeitstiere mit tintenverschmierten Fingern drängten sich in Herrn Howards bescheidenem Heiligtum und wühlten sich mit einem mitunter beinahe unanständigen Eifer durch die Stapel größtenteils nutzloser Bücher.
Bei einer dieser Gelegenheiten, als ich mich gerade mit einer mageren, hartnäckigen Dame aus der Auslandsredaktion um eine detaillierte Geschichte der japanischen Marinecodes oder etwas dergleichen zankte, fiel mein Blick auf ein dünnes Taschenbuch, dessen Titelbild die Tuschzeichnung eines Bergabenteurers zierte, der bäuchlings im Schnee lag. Der Titel lautete
Die Besteigung des Rum Doodle
.
Da ich einen Fund witterte, ließ ich vom Dutt der Dame ab und erhob Anspruch auf das Buch. Später am Abend, als ich mich in der Kantine an Schweinepfötchen aus Lancashire oder irgendeiner anderen Köstlichkeit der guten alten englischen Küche labte, schlug ich das Buch auf, und binnen weniger Minuten war mir klar, dass ich etwas Besonderes gefunden hatte.
Es gibt wohl keine Art von Humor, die so schwer über die Länge eines ganzen Buches durchzuhalten ist wie die Parodie, und ich wüsste kein Beispiel, in dem dies mit mehr Gusto bewältigt wird als in
Rum Doodle
. Erstmals im Jahr 1956 erschienen, erzählt das Buch die Geschichte einer Gruppe wunderbar liebenswürdiger Stümper, die es sich zum Ziel gesetzt hat, den höchsten Gipfel der Erde zu besteigen, den berühmten, aber selten gesehenen RumDoodle (40 000 ½ Fuß H.) in der Schneefeste des Himalaja, neben dem mächtigen Rankling La.
Ich liebe dieses Buch einfach. Fast alles daran stimmt: die Namen der Figuren, ihre Eigenarten, ihre Launen und Zänkereien, ihr unvermeidliches Pech bei jeder neuen Herausforderung. Da ist Binder, der freundliche, zähe, zuverlässige Anführer der Truppe, der nie ganz im Bilde ist; da ist Jungle, der Streckenfinder, der sich auf dem Weg zu jedem Treffpunkt verirrt und ständig Entschuldigungstelegramme von den entlegensten und unmöglichsten Orten schickt; da ist Wish, der Wissenschaftler, der die Seereise damit verbringt, seine Ausrüstung zu testen, und dabei ermittelt, dass sich das Schiff auf einer Höhe von 153 Fuß über dem Meer befindet, Constant, der Fachmann für Sprachen, der mit seiner fehlerhaften Grammatik und Aussprache immer wieder den Zorn der 30 000 yogistanischen Träger hervorruft, und schließlich Pong, der furchtbare Koch, dessen Ankunft in jedem Lager die Männer unweigerlich in noch größere Höhen treibt.
Das alles ist reichlich albern, macht einen Riesenspaß und wird auf brillante Weise durchgehalten. Zunächst hatte ich angenommen, dass dies, wie
1066 and All That
oder
Diary of a Nobody
, eines jener Bücher war, die in Großbritannien jeder kannte, auf die ich, Ausländer, der ich
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