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Der amerikanische Architekt

Der amerikanische Architekt

Titel: Der amerikanische Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Waldman
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schwebten und das Abtropfwasser der Klimaanlagen sich mit dem Regen mischte. Von der Form her wirkten die stählernen Bäume organisch, würden aber nicht dem von den Jahreszeiten bestimmten Werden und Vergehen eines Gartens unterliegen.
    »Wir empfinden Das Nichts als zu düster«, sagte Claire, nicht zum ersten Mal. Wir – das waren die Familien, die Angehörigen der Toten. In dieser Jury stand nur sie allein für dieses Wir. Sie hasste Das Nichts , Arianas Favoriten, den zweiten Finalisten, und war sicher, dass es den anderen Angehörigen genauso gehen würde. Das Nichts hatte überhaupt nichts Nichtsartiges. Vielmehr wirkte der gigantische, etwa zwölf Stockwerke hohe Quader aus schwarzem Granit, der schräg aus einem riesigen ovalen Teich aufragte, auf den Zeichnungen wie ein klaffender Riss im Himmel. Die Namen der Toten sollten in die Oberfläche des Quaders eingemeißelt werden und sich im Wasser des Teichs spiegeln – eine Anlehnung an die sich ebenfalls spiegelnden Namen des Vietnam Veterans Memorial in Washington. Allerdings, fand Claire, eine völlig verfehlte. Derartige Abstraktionen funktionierten nur, wenn man sie berühren konnte, so dicht daran herangehen konnte, dass der Maßstab sich veränderte. Aber die Namen auf dem Quader ließen sich nicht berühren, waren nur mit Mühe zu entziffern. Der einzige Vorteil des Nichts war seine Höhe. Claire fürchtete, manche der Familien – mit ihrem übertriebenen Patriotismus, ihrer Engstirnigkeit – könnten den Garten so verstehen, als überlasse man den Feinden Amerikas ein Stück Territorium, auch wenn dieses Territorium nur aus Luft bestand.
    »Gärten sind Fetische der europäischen Bourgeoisie«, sagte Ariana und deutete auf die Wände des Esszimmers, die mit einem Panorama üppiger Bäume tapeziert waren, zwischen denen winzige, förmlich gekleidete Männer und Frauen lustwandelten. Ariana selbst war wie üblich von Kopf bis Fuß in eine Art Haferschleimgrau gewandet, für das sie das Patent besaß, Hommage an und Persiflage auf Yves Kleins leuchtendes Blau.
    »Fetische der Aristokratie«, korrigierte der einzige Historiker in der Jury. »Die Bourgeoisie hat den Adel nur nachgeäfft.«
    »Sie ist übrigens französisch, die Tapete«, warf die Assistentin des Bürgermeisters, seine Vertreterin in der Jury, ein.
    »Der springende Punkt ist jedenfalls«, fuhr Ariana fort, »dass Gärten nichts für unser Land Typisches sind. Typisch für uns sind Parks. Formale Gärten sind kein Teil unserer Tradition.«
    »Erfahrungen zählen mehr als Traditionen«, sagte Claire.
    »Nein. Traditionen sind Erfahrungen. Wir sind darauf gepolt, an bestimmten Orten bestimmte Gefühle zu empfinden.«
    »Friedhöfe«, ließ Claire, in der sich eine alte Hartnäckigkeit zu Wort meldete, nicht locker. »Wieso sind sie so oft die schönsten Orte in einer Stadt? Es gibt ein Gedicht – von George Herbert – mit den Zeilen: »Wer hätt’ gedacht, mein trauernd’ Herz, könnt’ Grünes wieder finden?« Eine Freundin aus Collegezeiten hatte ihr eine Beileidskarte mit diesem Zitat geschickt. »Der Garten«, fuhr sie fort, »wird ein Ort sein, an dem wir – die Angehörigen, einfach jeder – auch Freude finden können. Mein Mann …«, sprach sie weiter, überlegte es sich anders und verstummte, während die Juroren sich aufmerksam vorbeugten, um zu hören, was sie sagen wollte. Ihre Worte blieben in der Luft hängen wie ein Rauchschleier.
    Ariana blies ihn fort. »Tut mir leid, aber die Gedenkstätte ist kein Friedhof, sondern ein nationales Symbol, eine historische Mahnung, ein Versuch, jeden Besucher – egal welche zeitliche oder örtliche Distanz zwischen ihm und dem Geschehen liegt – nachempfinden zu lassen, wie es sich anfühlte, was es konkret bedeutete. Das Nichts ist emotional, zornig, düster, brutal, weil es an jenem Tag keine Freude gab. Man kann nicht sagen, ob sich der Quader emporreckt oder ob er kippt, und das ist ehrlich und entspricht genau dem historischen Augenblick, um den es geht. Das Nichts ist geschaffene Zerstörung, was der tatsächlichen Zerstörung, im dialektischen Umkehrschluss gesprochen, ihre Macht nimmt. Der Garten dagegen appelliert an unsere Sehnsucht nach Heilung, die zwar ein natürliches, aber nicht gerade ein besonders hoch entwickeltes Gefühl ist.«
    »Haben Sie etwas gegen Heilung?«, fragte Claire.
    »Natürlich nicht. Wir sind nur unterschiedlicher Meinung, welches die beste Methode ist, sie herbeizuführen«,

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