Der amerikanische Architekt
Pressemeute gerufen: »Was sagen Sie dazu, dass viele Amerikaner Ihre Anspruchshaltung allmählich satthaben und finden, dass sie einfach nur geldgierig sind?« Claire hatte ihre Handtasche umklammert, um das Zittern ihrer Hände zu verbergen, sich aber nicht bemüht, das Zittern ihrer Stimme unter Kontrolle zu bringen. »Anspruchshaltung? Haben Sie Anspruchshaltung gesagt?« Der Reporter zuckte zurück. »Hatte ich einen Anspruch darauf, meinen Mann zu verlieren? Hatte ich einen Anspruch darauf, meinen Kindern erklären zu müssen, dass sie ihren Vater nie kennenlernen werden und ich sie allein aufziehen muss? Habe ich einen Anspruch darauf zu wissen, wie sehr mein Mann gelitten hat? Erledigen Sie gefälligst Ihre Hausaufgaben: Ich brauche keinen einzigen Penny dieser Entschädigung und habe nicht vor, sie zu behalten. Hier geht es nicht um Geld und nicht um Gier, sondern um Gerechtigkeit, um Anerkennung. Und ja, darauf habe ich einen Anspruch.«
Später behauptete sie, nicht gewusst zu haben, dass die Fernsehkameras liefen, aber sie hatten jedes ihrer Worte festgehalten. Die Aufnahme von der kreidebleichen blonden Frau im schwarzen Mantel lief so oft, dass sie den Fernseher tagelang nicht einschalten konnte, ohne sich selbst zu sehen. Berge von Unterstützerbriefen trudelten ein, und Claire merkte, dass sie plötzlich eine Berühmtheit war. Dabei hatte sie gar keine politische Aussage machen wollen. Sie hatte sich ausschließlich gegen die Unterstellung verwahren wollen, sie sei nur auf das Geld aus, hatte sich von denen distanzieren wollen, die es tatsächlich waren. Stattdessen war sie auf einmal ihre Fürsprecherin, die Vorsitzende der Gemeinde der Trauernden. Und das war, wie sie wusste, der Grund dafür, dass Gouverneurin Bitman sie in die Jury geholt hatte.
Auf der Veranda sah Maria sie prüfend an. Claire hielt ihren Blick fest, führte die Zigarette an die Lippen und nahm einen Zug, von dem ihr so schwindlig wurde, dass sie sich am Geländer festhalten musste. Sie hatte eigentlich kein schlechtes Gewissen wegen dem, was sie Maria eben gesagt hatte. Es entsprach alles der Wahrheit, abgesehen davon, dass sie nicht genau wusste, ob die Hand, die sich nach ihr ausgestreckt hatte, wirklich die von Cal war.
Maria war die erste, die die Seite wechselte. »Der Garten«, sagte sie beherzt. Claire wollte schon mit den Lippen ein »Danke« formen, hielt es dann aber für besser, es nicht zu tun. Als nächstes war der Kritiker an der Reihe. »Der Garten.« Seine Zustimmung freute Claire nicht ganz so sehr. Sein kummervolles Gesicht mit den Pudellöckchen vermittelte ihr den Eindruck, dass er seine Meinung nur aus Erschöpfung geändert hatte. Aber der Garten hatte nun acht Stimmen, was bedeutete, dass der Sieg in greifbare Nähe gerückt war. Doch statt innerlich zu jubeln, wurde es Claire immer schwerer ums Herz. Morgen, ohne den Wettbewerb, ohne die Jurysitzungen, würde ihr Leben sein letztes bisschen äußere Form verlieren. Als Cals Erbin war sie nicht darauf angewiesen, Geld zu verdienen, und es gab kein neues Anliegen, das ihre Zeit zwingend in Anspruch nehmen würde. Ihre Zukunft erstreckte sich vor ihr wie eine vergoldete Leere.
Das reine Danach hatte die zwei Jahre seit Cals Tod ausgefüllt – der überwältigende Kummer, der in eine langsame, zehrende Trauer überging, die langwierige allmähliche Genesung, armselige neue Routinen, die sich von Anfang an alt anfühlten. Formulare über Formulare. Mitteilungen des Gerichtsmediziners: Ein weiterer Partikel ihres Mannes war gefunden worden. Die Kündigung von Kreditkarten, Clubmitgliedschaften, Zeitschriftenabonnements, Vorkaufsrechten für Kunstwerke, der Verkauf von Autos und eines Segelboots, die Streichung seines Namens aus Treuhandfonds und Bankkonten und den Vorständen von Firmen und gemeinnützigen Vereinen – alles mit einer unerbittlichen Effizienz erledigt, die sie zur Mitwirkenden an seiner Auslöschung machte. Sie sprach mit den Kindern über ihren Vater, half ihnen dabei, sich an ihn zu erinnern, und überfrachtete die Vergangenheit mit einem solchen Wust an Werten, dass sie unter dem Gewicht ächzte.
Aber dieses Danach musste irgendwann enden. Sie spürte, dass sie das Ende eines Abschnitts erreichte, der vor vierzehn Jahren begonnen hatte, als ein blauäugiger Mann, den nicht so sehr sein gutes Aussehen auszeichnete als vielmehr seine Vitalität und sein Humor und seine Selbstsicherheit, sie beim Verlassen des Tennisplatzes ansprach,
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