Der amerikanische Buergerkrieg
und die beständig wandernden Grenzregionen im Westen, die sich noch einmal deutlich von den beiden an der Ostküste liegenden Gebieten abhoben, aber weithin noch nicht staatlich organisiert waren. Aus der Perspektive der beiden anderen Teile war der Westen auf der kulturellen Ebene ein imaginativer Ort der Sehnsucht, ein Quell moralischer, an klassischen Tugenden ausgerichteter, aber nichtsdestotrotz fortschrittsorientierter Erneuerung im Kampf mit den Mächten der Natur, gesellschaftlich ein Ventil für Überbevölkerung und politisch Mittelpunkt des Kampfes um die Expansion von Sklavenhalterwirtschaft oder Kapitalismus und Freibauerntum. Sein ganz eigener Charakter, der sich etwa im gewalttätigen, mitunter genozidalen Umgang mit den an der Grenze lebenden Indianern niederschlug, war nur selten Gegenstand unionsweiter Debatten. Nur wenn, wie in den späten 1840er Jahren in Kalifornien, Unruhen, Gewalt und Genozid Hand in Hand gingen und das totale Chaos drohte, rückten die Realitäten des Westens verstärkt in das Blickfeld der medialen Öffentlichkeit. Dies aber erlaubt es, sich im folgenden vorrangig mit den beiden klassischen Regionen, Nord und Süd, entlang der Ostküste zu beschäftigen.
Unterschiedlicher hätten zwei Landesteile nicht ausfallen können. Nahezu der gesamte bislang geschilderte Strukturwandel der amerikanischen Gesellschaft spielte sich nämlich im Norden ab. Dort lagen, etwa in Lowell, Buffalo oder Poughkeepsie, frühindustrielle Produktionszentren, dort befanden sich die Mittelpunktedes Finanzkapitalismus, besonders in New York, aber auch in den Händlerstädten Philadelphia und Boston, dort befanden sich die Überseehäfen, die den amerikanischen Markt mit dem Rest der Welt verbanden. Mit den industriellen, finanziellen und Handelsmetropolen verfügte der Norden über das Gros der urbanen Bevölkerung der Vereinigten Staaten, obwohl auch hier die Masse der Bewohner, über 80 Prozent, auf dem Land oder in Klein- und Mittelstädten lebten. Dennoch: Hatten 1790 in New York noch 33.000, in Philadelphia 44.000 und in Boston 18.000 Menschen gelebt, so waren es 1860 in New York 814.000 (ohne weitere 267.000 Einwohner von Brooklyn), in Philadelphia 566.000, in Boston 178.000 und in Cincinnati, der Königin des Westens, 161.000 Menschen. Im Süden hingegen herrschte ein ebenso chronischer wie dramatischer Mangel an urbanen und industriellen Zentren. Sieht man von New Orleans mit 1860 immerhin 169.000 Einwohnern, Baltimore, Richmond und möglicherweise Birmingham einmal ab, war die Region durch eine rein landwirtschaftliche Produktionsweise charakterisiert. Charleston in South Carolina, 1790 noch mit 16.000 Bewohnern die viertgrößte Stadt der USA, war sogar zu einer mittleren Provinzstadt herabgesunken. Darüber hinaus spielten sich die Transport- und Teile der Kommunikationsrevolution ganz überwiegend im Norden ab. Dort entstanden Straßen, Kanäle, Dampfschiffahrts- und Eisenbahnlinien. Immerhin profitierte der Süden wenigstens von den Telegraphen und den positiven Aspekten der amerikanischen Postbehörde. In der Folge strömte die Mehrheit der Einwanderer in die Städte des Nordens, wo sich ihnen – entgegen der auf Landbesitz zielenden tugendrepublikanischen Ideologie eines Thomas Jefferson oder Andrew Jackson – deutlich mehr wirtschaftliche Chancen eröffneten als im Süden oder Westen. Insbesondere die Iren neigten dazu, sich in größeren Städten anzusiedeln. Ein höherer Wohlstand des Nordens war mit dieser ungleichen industriellen und städtischen Entwicklung aber erst einmal nicht verbunden. Man wird vielmehr darauf hinweisen müssen, daß die Einkommensverteilung in allen Teilen des Landes ungleich verlief. Im Norden lebten reiche Yankeekapitalisten in den Großstädten neben bitterarmen irischenLohnarbeitern, während auf dem Lande kleine Freibauern ihr Auskommen suchten. Im Süden hingegen profitierte eine winzige Oberklasse von sklavenhaltenden Großgrundbesitzern in den Küstengebieten, die rund ein bis fünf Prozent der Gesamtbevölkerung ihrer Staaten ausmachten, in unglaublicher Weise von der globalen Vernetzung ihrer Baumwollproduktion, vor allem seit in den 1820er Jahren ein weltweiter Baumwollboom eingesetzt hatte. Demgegenüber lebten nichtsklavenhaltende Kleinbauern in den gebirgigen Piedmontregionen der Appalachees meist ebenso kümmerlich wie ihre nördlichen Leidensgenossen, um von der miserablen wirtschaftlichen Situation der Sklaven gar nicht erst zu reden.
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