Der amerikanische Investor (German Edition)
Glas Sekt angestoßen. Vielleicht hätte er bereits einen Vertrag. Vielleicht wäre er heute Abend mit dem frisch eingetroffenen Vertrag in der Hand seiner Frau entgegengetreten und hätte, indem er ein Lächeln unterdrückte, auf eine Vorschusssumme gedeutet, die ihre Augen staunend hätten aufglänzen lassen. Vielleicht wären sie anschließend alle vier in ein teures Restaurant gegangen. Sucht euch das Beste aus, Kinder! Ihr wisst ja, dass es mir leidtut, dass ich wegen des Kinderbuches in den letzten Monaten so wenig Zeit für euch hatte, aber jetzt bin ich wieder ganz für euch da.
Er schloss die Augen. Ob es ihm wohl gelungen wäre, das Buch so zu schreiben, dass er sich nicht schon jetzt, in diesen Wochen, abgrundtief dafür hätte schämen müssen? Ein Buch für Kinder über einen Hund, der seiner Hundefreundin Briefe schrieb. Was war daran eigentlich so verwerflich! Diese Arbeit, wenn er sie nur fortgesetzt hätte, hätte ihn womöglich sogar innerlich erhellt. Was für ein Ethos diktierte ihm eigentlich immer stupide diese Schwere, vor der ihm derzeit, wenn er nur an sie dachte, die Knie zitterten? Mochte sich doch der junge, hochfahrende Schriftstellerkollege insgeheim über diese Idee lustig machen und stundenlang per Handy mit seiner Agentin gehässig über sie witzeln, am Ende zählte doch nur der Erfolg!
Er riss die Augen auf. Warum sprang er nicht aus dem Bett! Er konnte dieses Buch doch immer noch zu Ende schreiben!
Er sah auf seine Hände hinab. War diese Geschichte die Mühe wirklich wert, und wie sollte er ohne die Kinder wieder in die Geschichte hineinfinden? Diese Geschichte hatte doch erst durch die Kinder gelebt! Bereits im Winter, die Idee war kaum in ihm aufgekeimt, hatte er den Kindern davon erzählt. Er hatte sie sogar um ihre Hilfe gebeten. In feierlichem Tonfall hatte er sie irgendwann im Januar um sich versammelt. Kinder, hatte er gesagt, ich habe eine schöne Aufgabe für euch. Ihr müsst mir helfen, Missgeschicke zu sammeln. Ich will nämlich ein Buch schreiben, das nur aus Briefen besteht, die von einem Hund verfasst sind, der natürlich auch die Hauptfigur dieses Buches sein soll. Dieser Hund, Kinder, lebt immer nur im Kreise seiner Familie und hat deswegen auch keine Hundefreunde. Der einzige andere Hund, den er kennt, ist ein Hundeweibchen, das ein paar Blöcke weiter wohnt. Dieses Hundeweibchen findet er natürlich ganz toll, und weil er so viel Zeit hat, nimmt er sich vor, ihr Briefe zu schreiben. Das stellt sich dann aber schnell als schwieriger heraus, als er gedacht hat. Der Hund weiß nämlich nicht, worüber er schreiben soll. Weder erlebt er etwas Spannendes, noch wüsste er etwas Aufregendes über sich selbst zu berichten, und aus dieser Not, Kinder, verfällt der Hund, um sich interessant zu machen, darauf, sich Missgeschicke auszudenken, die er dem Hundeweibchen so schildert, als seien sie ihm wirklich widerfahren. Versteht ihr, was ich meine? Natürlich Papa!
Er rieb sich über die Stirn. Hatte er damals im Winter zu viel von den Kindern erwartet? Hatten sie ihn vielleicht sogar enttäuscht? Begeisterungsfähigere Helfer hätte er sich doch gar nicht wünschen können. Über Wochen hinweg sahen sie ihn am Abendbrottisch mit leuchtenden Augen an. Papa, denken wir uns gleich im Bett wieder ein paar Missgeschicke aus? Was hatte ihm so schnell die Freude an den Erzählungen der Kinder genommen, dass er bald allabendlich mit einem gequälten Lächeln zu ihnen hinsah, während sie aufgeregt auf der Matratze herumhopsten und ein Missgeschick nach dem anderen entwickelten? Hatte er damals bereits, ohne es überhaupt begonnen zu haben, den Glauben an das Buch verloren, oder war es doch die etwas eintönige Phantasie der Kinder, die ihm diese Abende so schnell verleidet hatten? Papa, hör mal zu! Ich habe schon wieder eine gute Idee. Vielleicht könnte der Hund aus Versehen in den Hut eines Bettlers pinkeln oder an das Bein einer ganz feinen Dame, weil er es mit einem Baumstamm verwechselt hat. Jetzt habe ich es, Papa! Der Hund leckt auf der Straße die Kotze von einem Betrunkenen auf, wird selber betrunken und rennt gegen einen Baum oder einen Fahrradfahrer, der dann mit dem Gesicht in einen Scheißhaufen fällt.
Er schloss die Augen. Wen auf der Welt interessierten die Missgeschicke eines Hundes? Aber war das die richtige Fragestellung? Ging es nicht immer um die Darstellung und war es ihm nicht, als er sich Anfang März an die Niederschrift dieser Geschichte gewagt
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