Der amerikanische Investor (German Edition)
Nacken und sah zur Decke hinauf. War das schon der Satz? War das tatsächlich der Satz, nach dem er die ganze Zeit gesucht hatte?
Langsam stieg er aus dem Bett, trat zum Fenster vor und sah auf die abendlich graue Straße hinunter. Dann wandte er sich zu seinem Schreibtisch um, griff nach dem Stift und schrieb über sein Notizbuch gebeugt: Am Abend hatte ich mit meiner Frau gestritten. Lange sah er auf den Satz hinab. Dann blickte er wieder zum Fenster hinaus. Was war er nur für ein gewöhnlicher Mensch und wie erhebend war es schon jetzt, sich wieder als dieser gewöhnliche Mensch zu fühlen. Wie viele Geschichten ließen sich wohl aus diesem Satz formen?
Er sah auf seine Hände hinab und fühlte plötzlich ein Lächeln im Gesicht. War es nicht regelrecht unheimlich, nicht nur, was für ein gewöhnlicher, sondern auch was für ein exemplarischer Mensch er war? Zwei Kinder, eine Frau, viel halbes, wenig ganzes Glück, und eine Kleidergröße, die ihn nur deshalb manchmal etwas nicht finden ließ, weil es schon zu viele vor ihm verlangt hatten. Könnte nicht allein diese Durchschnittlichkeit seinem Buch Gültigkeit verleihen?
Er rieb sich die Hände. Dann beugte er sich wieder zu seinem Notizbuch hinab. Ja, dachte er, dieser Satz war voller Klarheit und streng wie eine Waffe. Das war der Satz, der alle anderen fordern würde. Der Hund!, schoss es ihm in den Kopf. Er musste noch mal mit dem Hund hinunter! Sollte er das jetzt gleich tun und durfte er bei dieser Gelegenheit unten vielleicht noch ein Bier trinken? War dieser Satz nicht Anlass genug, heute, ein letztes Mal, still und ganz für sich, ein wenig zu feiern? War es nicht nur vernünftig, sondern auch gesund, sich heute erst einmal mit diesem Satz vertraut zu machen, ihn von oben und unten, vorne und hinten zu betrachten, ihn ein wenig in der Hand zu kneten, ihn in die Tasche zu stecken und wieder hervorzuziehen, mit ihm den Park zu durchwandern und auf dem Rückweg ein kleines Stück auf ihm zu reiten?
Mit einem Ruck wandte er sich um und klatschte in die Hände. Komm!, rief er mit scharfer Stimme.
Der Hund sah ihn mit blutunterlaufenen Augen an. Wieder blähten sich seine Lefzen. Nur mühsam und unwillig erhob er sich auf seine vier Pfoten, und kaum dass er stand, erbrach er sich auch schon auf den Boden.
Der Ball, dachte er, und während er dem Hund dabei zusah, wie dieser nun den Kopf senkte, um das Erbrochene scheinbar klaglos wieder aufzuschlecken, fühlte er, wie ihm die Beine, die doch gerade noch so stark im Raum gestanden hatten, von einer erneuten Beklemmung weich wurden.
ENDE
Jan Peter Bremer wurde 1965 in Berlin geboren, wo er heute mit seiner Frau und seinen zwei Kindern lebt. Für einen Auszug aus Der amerikanische Investor wurde er 2011 mit dem Alfred-Döblin-Preis ausgezeichnet. Für seinen Roman Der Fürst spricht (1996) erhielt er den Ingeborg-Bachmann-Preis. Er war Inselschreiber auf Sylt, hatte ein Aufenthaltsstipendium des Künstlerhauses Edenkoben und unterrichtete am deutschen Literaturinstitut Leipzig. Jan Peter Bremer schreibt auch Hörspiele und hat bei Bloomsbury K & J ein Kinderbuch herausgebracht: Mit spitzen Ohren. Ein Roman für Kinder (2010). Im Berlin Verlag erschien 2006 Still leben (BvT 2007), Paläste. Drei Kleine Romane (BvT 2006) sowie 2000 sein Roman Feuersalamander (BvT 2002).
© 2011 Bloomsbury Verlag GmbH, Berlin
Alle Rechte vorbehalten
Satz und ebook: Greiner und Reichel, Köln
Umschlaggestaltung: Rothfos & Gabler, Hamburg,
unter Verwendung einer Fotografie von © CSA Plastock/getty
ISBN 978-3-8270-7502-4
www.bloomsbury-verlag.de
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