Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der amerikanische Investor (German Edition)

Der amerikanische Investor (German Edition)

Titel: Der amerikanische Investor (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Peter Bremer
Vom Netzwerk:
allem verabschiedet, Leid und Freude waren von ihm abgefallen, Eitelkeit und Ehrgeiz über ihn hinweg in unbekannte Reiche galoppiert, und nichts, außer dem Anblick seiner beiden schlafenden Kinder, dem Anblick des gutmütigen und verständnisvollen Lächelns seiner Frau, würde von nun an in ihm fortleben. Wie einen Schatz würde er diese winzige, friedliche Welt ohne Unterbrechung vor sich in den offenen Händen halten, eine Welt, die unter seinen Tränen nur noch schöner erblühen würde, eine Welt, die ihm niemand mehr würde nehmen können.
    Er wandte den Kopf zurück und sah zur Glühbirne hinauf. Dann schloss er die Augen. Waren der amerikanische Investor und er womöglich Seelenverwandte? Hatte sich der amerikanische Investor nur deshalb in die Luft erhoben und hielt sich so fern der Menschheit auf, damit auch er das Leben für sich verklären konnte? Vielleicht blickte der amerikanische Investor von dort oben mit unendlicher Liebe auf die Erde hinab. Vielleicht empfand der amerikanische Investor in seinem Flugzeug die gleiche Sehnsucht nach der Welt, die er gerade nach seiner Frau und seinen Kindern empfand, eine Sehnsucht, die, sobald er irgendwo landete, erst in Enttäuschung, dann in Hass und Selbstverachtung umschlug, so, als würde sich noch in dieser Sekunde die Tür öffnen und seine Frau träte mit vorwurfsvoller Miene an sein Bett, so, als würden die Kinder mit harten Füßen über ihn hinweg auf seiner Matratze toben. Vielleicht hing der amerikanische Investor dort oben in seinem bequemen Sitz wie trunken einem göttlichen Gedanken nach, einem Gedanken, der sich ihm nur deshalb erschloss, weil er nie versucht hatte, ihn auf Papier zu bringen. Vielleicht war der amerikanische Investor ein kleiner Junge, der dort oben an der Hand seiner Mutter mit staunenden Augen durch exotische Gärten wandelte. Vielleicht hatte er diese ewige Reise nur angetreten, um sich einem versprochenen Kuss zu nähern. Vielleicht war der amerikanische Investor dort oben in seinem Flugzeug genauso verloren gegangen wie er hier unten in seiner Wohnung. Vielleicht blickte der amerikanische Investor gerade aus seinem kleinen, rundlichen Fenster zu ihm hinab, mit der gleichen Dumpfheit und Hoffnungslosigkeit, mit der er an die Decke starrte. Vielleicht schämte sich der amerikanische Investor schon seit Wochen vor dem Blick seines Dieners und wagte kaum ein Wort zu ihm zu sprechen, weil ihn die Nichtigkeit seiner eigenen Stimme erschütterte. Vielleicht ekelte den amerikanischen Investor, sobald er an sich hinabblickte, die eigene Körperlichkeit. Vielleicht aß er keine Schokolade mehr, weil er sich einbildete, er hätte sie nicht verdient. Vielleicht hoffte der amerikanische Investor, sobald er die Augen schloss, er wäre nun endgültig verschwunden. Vielleicht spürte er, wenn er einmal zu lächeln versuchte, ein fremdes Ziehen in den Mundwinkeln. Vielleicht tastete sich der amerikanische Investor schon seit Monaten auf der Suche nach einem verständnisvollen Blick durch dichten Nebel hindurch. Vielleicht waren der amerikanische Investor und er dazu bestimmt, sich aneinander aufzurichten, zwei Luftgänger, die sich nun endlich begegnet waren und nun nur noch Worte füreinander finden mussten, Worte des Trostes und des Austausches, Worte, die Irrtümer mit ihrer leuchtenden Klarheit aus der Welt schafften und ihrer beider Herz wieder zum Schlagen brachten. Warum raffte er sich nicht endlich auf und setzte sich an den Schreibtisch! Musste er erst noch Tränen vergießen? Das konnte er doch auch später über dem leeren Blatt! Einen Brief würde er schreiben, wie ihn noch niemand bisher erhalten hatte, einen Brief, mit dem er sich nicht nur für immer in das Herz der Welt, sondern gleichsam auch, wenn er noch einmal Gelegenheit fände, ihr diese Zeilen vorzulesen, in das Herz seiner Frau einschreiben würde.
    Er öffnete die Augen. Liebte seine Frau ihn noch und wäre sie überhaupt bereit, sich von seinen Worten verführen zu lassen? Oder war er ihr längst unwirklich geworden? Woher wollte er eigentlich in seiner derzeitigen Verfassung die Kraft für einen Brief nehmen, der ihre Aufmerksamkeit verdiente? Wie sollten denn aus diesen kläglichen und leblosen Gedanken, die ihn Tag und Nacht in völlige Blindheit hüllten, mit einem Mal spannende Sätze werden? Sein Zustand ließ sich doch nicht verheimlichen. Ganz gleich, wie er diesen armseligen Brief vortragen würde, ob glühend, mit geschwellter Stimme und aufgeregt dabei

Weitere Kostenlose Bücher