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Der Amokläufer

Der Amokläufer

Titel: Der Amokläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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fühlen; denn wie jedem innerlich kühlen Menschen war es mein eigentlichster erotischer Genuß, in anderen Wärme und Unruhe zu erregen, statt mich selbst zu erhitzen. Nur den Flaum von Wärme, den die Gegenwart von Frauen um die Sinnlichkeit legt, liebte ich zu fühlen, nicht eine wirkliche Erhitzung, Anregung bloß und nicht Erregung. So ging ich auch diesmal durch die Promenade, nahm Blicke, gab sie leicht wie Federball zurück, genoß ohne zu greifen, befühlte Frauen ohne zu fühlen, nur leicht angewärmt von der lauen Wollust des Spiels.
    Aber auch das langweilte mich bald. Immer dieselben Menschen kamen vorüber, ich kannte ihre Gesichter schon auswendig und ihre Gesten. Ein Sessel stand in der Nähe. Ich setzte mich hin. Ringsum begann in den Gruppen eine neue wirblige Bewegung, unruhiger schüttelten und stießen sich die Vorübergehenden durcheinander; offenbar sollte ein neues Rennen wieder anheben. Ich kümmerte mich nicht darum, saß weich und irgendwieversunken unter dem Kringel meiner Zigarette, der sich weißgekräuselt gegen den Himmel hob, wo er heller und heller wie eine kleine Wolke im Frühlingsblau verging. In dieser Sekunde begann das Unerhörte, jenes einzige Erlebnis, das noch heute mein Leben bestimmt. Ich kann ganz genau den Augenblick feststellen, denn zufällig hatte ich gerade auf die Uhr gesehen: die Zeiger kreuzten sich, und ich sah ihnen mit jener unbeschäftigten Neugier zu, wie sie sich eine Sekunde lang überdeckten. Es war drei Minuten nach drei Uhr an jenem Nachmittag des 7. Juni 1913. Ich blickte also, die Zigarette in der Hand, auf das weiße Zifferblatt, ganz beschäftigt mit dieser kindischen und lächerlichen Betrachtung, als ich knapp hinter meinem Rücken eine Frau laut lachen hörte, mit jenem scharfen, erregten Lachen, wie ich es bei Frauen liebe, jenem Lachen, das ganz warm und aufgeschreckt aus dem heißen Gebüsch der Sinnlichkeit vorspringt. Unwillkürlich bog es mir den Kopf zurück, schon wollte ich die Frau anschauen, deren laute Sinnlichkeit so frech in meine sorglose Träumerei schlug wie ein funkelnder weißer Stein in einen dumpfen, schlammigen Teich – da bezwang ich mich. Eine merkwürdige Lust am geistigen Spiel, am kleinen ungefährlichen psychologischen Experiment, wie sie mich oft befiel, ließ mich innehalten. Ich wollte die Lachende noch nicht ansehen, es reizte mich, zuerst in einer Art Vorlust, meine Phantasie mit dieser Frau zu beschäftigen, mir sie vorzustellen, mir ein Gesicht, einen Mund, eine Kehle, einen Nacken, eine Brust, eine ganze lebendige atmende Frau um dieses Lachen zu legen.
    Sie stand jetzt offenbar knapp hinter mir. Aus dem Lachen war wieder Gespräch geworden. Ich hörte gespannt zu. Sie sprach mit leichtem ungarischen Akzent, sehr rasch und beweglich, die Vokale breit ausschwingend wie im Gesang. Es machte mir nun Spaß, dieser Rede nun die Gestalt zuzudichten und dies Phantasiebild möglichst üppig auszugestalten. Ich gab ihr dunkle Haare, dunkle Augen, einen breiten, sinnlich gewölbten Mund mit ganz weißen starken Zähnen, eine ganz schmale kleine Nase, aber mit steil aufspringenden zitternden Nüstern. Auf die linke Wange legte ich ihr ein Schönheitspflästerchen, in die Hand gab ich ihr einen Reitstock, mit dem sie sich beim Lachen leicht an den Schenkel schlug. Sie sprach weiter und weiter. Und jedes ihrer Worte fügte meiner blitzschnell gebildeten Phantasievorstellung ein neues Detail hinzu: eine schmale mädchenhafte Brust, ein dunkelgrünes Kleid mit einer schief gesteckten Brillantspange, einen hellen Hut mit einem weißen Reiher. Immer deutlicher ward das Bild, und schon spürte ich diese fremde Frau, die unsichtbar hinter meinem Rücken stand, wie auf einer belichteten Platte in meiner Pupille. Aber ich wollte mich nicht umwenden, dieses Spiel der Phantasie noch weiter steigern, irgendein leises Rieseln von Wollust mengte sich in die verwegene Träumerei, ich schloß beide Augen, gewiß, daß, wenn ich die Lider auftäte und mich ihr zuwendete, das innere Bild ganz mit dem äußeren sich decken würde.
    In diesem Augenblick trat sie vor. Unwillkürlich tat ich die Augen auf – und ärgerte mich. Ich hatte vollkommen daneben geraten, alles war anders, ja in boshaftesterWeise gegensätzlich zu meinem Phantasiebild. Sie trug kein grünes, sondern ein weißes Kleid, war nicht schlank, sondern üppig und breitgehüftet, nirgends aus der vollen Wange tupfte sich das erträumte Schönheitspflästerchen, die Haare

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