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Der Amokläufer

Der Amokläufer

Titel: Der Amokläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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krampfig einen weißen Zettel. Und immer mehr dieser weißen Zettel flatterten herum, wie Schaumspritzer gischteten sie über dieser graudurchstürmten Flut, die lärmend schwoll. Jetzt mußten an der Kurve ein paar Pferde ganz knapp beieinander sein, denn mit einem Male ballte sich das Gedröhn in zwei, drei, vier einzelne Namen, die immer wieder einzelne Gruppen wie Schlachtrufe schrien und tobten, und diese Schreie schienen wie ein Ventil für ihre delirierende Besessenheit.
    Ich stand inmitten dieser dröhnenden Tobsucht kalt wie ein Felsen im donnernden Meer und weiß noch heute genau zu sagen, was ich in jener Minute empfand.
    Das Lächerliche vorerst all dieser fratzenhaften Gebärden, eine ironische Verachtung für das Pöbelhafte des Ausbruches, aber doch noch etwas anderes, das ich mir ungern eingestand – irgendeinen leisen Neid nach solcher Erregung, solcher Brunst der Leidenschaft, nach dem Leben, das in diesem Fanatismus war. Was müßte, dachte ich, geschehen, um mich dermaßen zu erregen, mich dermaßen ins Fieber zu spannen, daß mein Körper so brennend, meine Stimme mir wider Willen aus dem Munde brechen würde? Keine Summe konnte ich mir denken, deren Besitz mich so anfeuern könnte, keine Frau, die mich dermaßen reizte, nichts, nichts gab es, was aus der Starre meines Gefühls mich zu solcher Feurigkeit entfachen könnte! Vor einer plötzlich gespannten Pistole würde mein Herz, eine Sekunde vor dem Erstarren, nicht so wild hämmern, wie das in den tausend, zehntausend Menschen rings um mich für eine Handvoll Geld. Aber jetzt mußte ein Pferd dem Start ganz nahe sein, denn zu einem einzigen, immer schriller werdenden Schrei von tausenden Stimmen gellte jetzt wie eine hochgespannte Saite ein bestimmter Name empor aus dem Tumult, um dann schrill mit einem Male zu zerreißen. Die Musik begann zu spielen, plötzlich zerbrach die Menge. Eine Runde war zu Ende, ein Kampf entschieden, die Spannung löste sich in eine quirlende, nur noch schlaff nachschwingende Bewegtheit. Die Masse, eben noch ein brennendes Bündel Leidenschaft, fiel auseinander in viele einzelne laufende, lachende, sprechende Menschen, ruhige Gesichter tauchten wieder auf hinter der mänadischen Maske der Erregung; aus dem Chaos des Spiels, dasfür Sekunden diese Tausende in einen einzigen glühenden Klumpen geschmolzen hatte, schichteten sich wieder gesellschaftliche Gruppen, die zusammentraten, sich lösten, Menschen, die ich kannte und die mich grüßten, fremde, die sich gegenseitig kühl-höflich musterten und betrachteten. Die Frauen prüften sich gegenseitig in ihren neuen Toiletten, die Männer warfen begehrliche Blicke, jene mondäne Neugier, die der Teilnahmslosen eigentliche Beschäftigung ist, begann sich zu entfalten, man suchte, zählte, kontrollierte sich auf Anwesenheit und Eleganz. Schon wußten, kaum aus dem Taumel erwacht, all diese Menschen nicht mehr, ob dies promenierende Zwischenspiel oder das Spiel selbst der Zweck ihrer gesellschaftlichen Vereinigung war.
    Ich ging mitten durch dies laue Gewühl, grüßte und dankte, atmete wohlig – war es doch die Atmosphäre meiner Existenz – den Duft von Parfüm und Eleganz, der dies kaleidoskopische Durcheinander umschwebte, und noch freudiger die leise Brise, die von drüben aus den Praterauen, aus dem sommerlich durchwärmten Walde manchmal ihre Welle zwischen die Menschen warf und den weißen Musselin der Frauen wie wollüstig-spielend betastete. Ein paar Bekannte wollten mich ansprechen, Diane, die schöne Schauspielerin, nickte einladend aus einer Loge herüber, aber ich ging keinem zu. Es interessierte mich nicht, mit einem dieser mondänen Menschen heute zu sprechen, es langweilte mich, in ihrem Spiegel mich selbst zu sehen, nur das Schauspiel wollte ich umfassen, die knisternd-sinnliche Erregung, die durch die aufgesteigerte Stunde ging (denn der anderenErregtheit ist gerade dem Teilnahmslosen das angenehmste Schauspiel). Ein paar schöne Frauen gingen vorbei, ich sah ihnen frech, aber ohne innerliches Begehren auf die Brüste, die unter der dünnen Gaze bei jedem Schritt bebten und lächelte innerlich über ihre halb peinliche, halb wohlige Verlegenheit, wenn sie sich so sinnlich abgeschätzt und frech entkleidet fühlten. In Wirklichkeit reizte mich keine, es machte mir nur ein gewisses Vergnügen, vor ihnen so zu tun, das Spiel mit dem Gedanken, mit ihren Gedanken machte mir Freude, die Lust, sie körperlich zu berühren, das magnetische Zucken im Auge zu

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