Der Anruf kam nach Mitternacht
nette Worte zu murmeln und sie dann hinauszubegleiten. Danach konnte er die ganze Angelegenheit vergessen. Geoffrey Fontaine, oder wie er sonst heißen mochte, war eben tot.
Doch Tim hatte Nicks Neugierde geweckt. Er sah seinen Freund an. »Sag mal, was hältst du davon, mir ein paar Informationen über die Frau dieses Burschen zu besorgen? Sarah Fontaine. Vielleicht führt uns das auf irgendeine Spur.«
»Warum besorgst du dir sie nicht selbst?«
»Du bist der Einzige, der Zugang zu den ganz heißen Informationen hat.«
»Tja, aber du hast die Frau selbst«, Tim nickte zur Tür hin. »Ich habe mitbekommen, wie deine Sekretärin ihren Namen aufgeschrieben hat. Sarah Fontaine sitzt bereits in deinem Vorzimmer.«
Die Sekretärin war eine grauhaarige Frau mittleren Alters mit dunkelblauen Augen und einem schmallippigen Mund. Sie sah von ihrem Schreibtisch nur gerade so lange hoch, um Sarahs Namen aufzuschreiben und sie zu der nahe stehenden Couch zu weisen.
Neben der Couch lagen säuberlich auf einem Haufen die üblichen Zeitschriften, die in einem Vorzimmer anzutreffen waren, und außerdem einige Ausgaben der »Foreign Affairs« und der »World Press Review«, auf denen noch die Adressetiketten klebten: Dr. Nicholas O’Hara.
Während sich die Sekretärin wieder ihrer Schreibarbeit widmete, sank Sarah in die Kissen der Couch und starrte blicklos auf ihre Hände, die sie in ihrem grauen Lieblingswollrock im Schoß gefaltet hatte. Da sie ihre Grippe noch nicht ganz überwunden hatte, trug sie einen dicken Pullover und fühlte sich trotzdem fröstelnd und miserabel.
Nach dem Telefonanruf in der vergangenen Nacht hatte der Schmerz sie übermannt. Jetzt fühlte sie sich nur noch benommen. Plötzlich sah das Leben für Sarah beängstigend aus.
Die Sprechanlage der Sekretärin summte, und eine Stimme sagte: »Angie? Bitten Sie Mrs. Fontaine herein.«
»Ja, Mr. O’Hara.« Angie nickte Sarah zu. »Sie können jetzt hereingehen«, sagte sie.
Sarah setzte ihre Brille auf, erhob sich und ging in das angewiesene Büro. Sie trat ein und blieb sofort auf dem dicken Teppich stehen. Ruhig sah sie den Mann an, der hinter dem Schreibtisch stand.
Er stand vor dem Fenster. Die Sonne schien durch die dürren Bäume und blendete Sarah. Zuerst erkannte sie nur die Silhouette des Mannes. Er war groß und schlank, und seine Schultern hingen leicht nach unten – er wirkte müde. Er wandte sich vom Fenster ab und kam um den Schreibtisch herum, um sie zu begrüßen. Sein blaues Hemd war zerknittert, und eine nichtssagende Krawatte hing locker um seinen Hals, als hätte er daran gezerrt.
»Mrs. Fontaine«, begann er, »ich bin Nick O’Hara.«
Sie erkannte augenblicklich die Stimme des nächtlichen Anrufers wieder, dieselbe Stimme, die zehn Stunden vorher ihre Welt erschüttert hatte.
Er reichte ihr die Hand mit einer Geste, die Sarah zu automatisch fand, eine bloße Formalität, die er zweifellos allen Witwen entgegenbrachte. Sie bemerkte jedoch, dass er einen festen Händedruck hatte.
Während er wieder auf das Fenster zuging, fiel das Licht voll auf sein Gesicht. Sie erkannte lange, schmale Gesichtszüge, ein gleichmäßiges Kinn und einen nüchternen Mund. Sarah schätzte ihn auf Ende dreißig, vielleicht älter. Sein dunkelbraunes Haar zeigte an den Schläfen graue Stellen. Unter den hellgrauen Augen lagen tiefe Ringe.
Er wies auf einen Stuhl. Während sie Platz nahm, fiel ihr auf, dass noch eine dritte Person im Zimmer war, ein Mann mit einer Brille und einem buschigen, schwarzen Bart, der still auf einem Stuhl in der Ecke saß. Sie hatte ihn schon gesehen, als er vorher durch das Vorzimmer gekommen war.
Nick setzte sich auf die Schreibtischkante und blickte Sarah an. »Die Sache mit Ihrem Gatten tut mir sehr leid, Mrs. Fontaine«, erklärte er sanft. »Es ist ein schrecklicher Schock, ich weiß. Die meisten Menschen wollen uns nicht glauben, wenn sie einen solchen Anruf erhalten. Ich hatte das Gefühl, ich sollte von Angesicht zu Angesicht mit Ihnen sprechen. Ich habe ein paar Fragen. Und ich bin sicher, Sie auch.« Er nickte mit dem Kopf in die Richtung des Mannes mit dem Bart. »Haben Sie etwas dagegen, wenn Mr. Greenstein hierbleibt?«
Sarah zuckte die Schultern und fragte sich einen Moment lang, warum Mr. Greenstein überhaupt anwesend war.
»Wir sind beide Staatsbeamte«, fuhr Nick fort. »Ich bin beim Außenministerium mit konsularischen Angelegenheiten beschäftigt, und Mr. Greenstein arbeitet bei unserer
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