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Der Anschlag - King, S: Anschlag

Der Anschlag - King, S: Anschlag

Titel: Der Anschlag - King, S: Anschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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gebeten, zu rückgehen und einen Pullover anziehen zu dürfen, weil sein Hemd ein Loch habe. Dieser Umweg, um den Pullover zu holen, dauerte nicht einmal drei Minuten, aber das genügte – das Leben schlägt eben Kapriolen. Ruby schoss Oswald in den Bauch. Als Polizisten Sparky Jack unter sich begruben, konnte er noch rufen: »He, Jungs, ich bin Jack Ruby! Ihr kennt mich alle!«
    Der Attentäter starb wenig später im Parkland Memorial Hospital, ohne eine weitere Aussage gemacht zu haben. Wegen einer Stripperin, die fünfundzwanzig Dollar brauchte, und eines bescheuerten Angebers, der noch einen Pullover anziehen wollte, wurde Oswald nie vor Gericht gestellt und bekam nie eine wirkliche Chance, ein Geständnis abzulegen. Seine Kernaussage über seine Rolle bei den Ereignissen vom 22. November 1963 lautete: »Ich bin nur ein Sündenbock.« Die Diskussion darüber, ob er die Wahrheit gesagt hat oder nicht, hat seither nicht mehr aufgehört.
    Zu Anfang dieses Romans beziffert Jake Eppings Freund Al die Wahrscheinlichkeit, dass Oswald ein Einzeltäter war, mit fünfund neunzig Prozent. Nach der Lektüre eines Stapels von Büchern und Artikeln zu diesem Thema, der fast so groß war wie ich, sehe ich die Wahrscheinlichkeit eher bei achtundneunzig, vielleicht sogar neunundneunzig Prozent. Weil alle Berichte, auch die von Verschwörungstheoretikern geschriebenen, die gleiche simple amerikanische Geschichte erzählen: Hier war ein gefährlicher klei ner Ruhmsüchtiger, der zufällig am rechten Ort war, um sein Vorhaben ausführen zu können. Standen die Chancen gering, dass alles so klappte, wie es ablief? Ja. Gering sind auch die Chancen auf einen Lotteriegewinn – aber trotzdem gibt es täglich Gewinner.
    Die nützlichsten Quellen, die ich zur Vorbereitung auf diesen Roman gelesen habe, waren vermutlich Case Closed von Gerald Posner, Legend von Edward Jay Epstein (verrücktes Robert-Lud lum-Zeug, aber amüsant), Oswalds Geschichte – Ein amerikanisches Trauma von Norman Mailer und Mrs. Paine’s Garage von Thomas Mallon. Letzterer bietet eine brillante Analyse der Verschwörungstheoretiker und ihrem Bedürfnis, sogar in einem fast zufälligen Ereignis ein Ordnungsprinzip zu entdecken. Auch Oswalds Geschichte von Norman Mailer ist lesenswert. Er sagt, er habe das Projekt (zu dem ausführliche Interviews mit Russen gehören, die Lee und Marina in Minsk gekannt hatten) mit der Überzeugung begonnen, dass Oswald das Opfer einer Verschwörung geworden sei, aber zuletzt habe er – widerstrebend – glauben müssen, dass doch die spießige olle Warren-Kommission recht gehabt habe: Oswald war ein Einzeltäter.
    Für einen vernünftigen Menschen ist es sehr, sehr schwierig, etwas anderes zu glauben. Auch hier gilt das Ökonomieprinzip – die einfachste Erklärung ist meist die richtige.
    Höchst beeindruckt – und bewegt und erschüttert – war ich auch bei der neuerlichen Lektüre von William Manchesters Der Tod des Präsidenten. Er hat in manchen Punkten völlig unrecht, er neigt zu Höhenflügen in kitschiger Prosa (zum Beispiel wenn er Marina Oswald »luchsäugig« nennt), und seine Analyse von Oswalds Motiven ist zugleich oberflächlich und feindselig, aber sein gewaltiges Werk – nur vier Jahre nach dieser schrecklichen Mittagsstunde in Dallas erschienen – ist dem Attentat zeitlich am nächsten: Es wurde geschrieben, als die meisten Beteiligten noch lebten, als ihre Erinnerungen noch frisch waren. Weil Jacqueline Kennedy dem Projekt bedingt zugestimmt hatte, redeten alle mit Manchester, und obwohl seine Schilderung der Nachwirkungen des Attentats vor Schwulst trieft, ist sein Bericht über die Ereignisse am 11. November 1963 lebhaft und spannend, ein Zapruder-Film in Worten.
    Na ja … fast alle redeten mit ihm. Marina Oswald tat es nicht, und dass sie bei Manchester dann so schlecht wegkam, mag etwas damit zu tun gehabt haben. Marina (die noch lebt, während ich dies schreibe) dachte nach der feigen Tat ihres Mannes vor allem an sich selbst, und wer hätte ihr das verübeln können. Wer ihre vollständigen Erinnerungen lesen will, findet sie in Marina and Lee von Priscilla Johnson McMillan. Ich glaube sehr wenig von dem, was sie behauptet (außer es wird durch andere Quellen bestätigt), aber ich habe – mit einigem Widerstreben, das ist wahr – Respekt vor ihrer Fähigkeit zu überleben.
    Ursprünglich habe ich schon 1972 versucht, dieses Buch zu schreiben. Ich habe das Projekt wieder aufgegeben, weil mir die

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