Der Archipel in Flammen
Blutrache, räuberisch von Geburt und doch das Gastrecht heilig haltend, vor dem Meuchelmord nicht zurückschreckend, sobald er durch Raub notwendig wird, halten sich diese rauhen Gebirgsvölker trotz allem für die direkten Abkömmlinge der Spartiaten; aber von ihren unzugänglichen "Pyrgos" oder Bergfesten aus, deren man in diesen gewundenen Ketten des Taygetes zu Tausenden zählt, spielen sie mit besonderer Vorliebe die zweifelhafte Rolle jener Wegelagerer des Mittelalters, die ihre Feudalrechte mit Dolchstößen und Pfeilschüssen ausübten.
Sind nun die Manioten noch gegenwärtig halbe Wilde, so läßt sich leicht vorstellen, wie es um sie mehr denn 50 Jahre früher stand. Ehe während des ersten Drittels des 19. Jahrhunderts ihrem seeräuberischen Treiben durch die an den Küsten kreuzenden Dampfschiffe der Garaus gemacht wurde, waren die Manioten als die verwegensten Seeräuber in der ganzen Levante gefürchtet. Und vor allem war es, durch seine Lage am äußersten Zipfel des Peloponnes an der Einfahrt zweier Meere, wie auch durch seine Nähe an der allem Seeräubervolk ans Herz gewachsenen Insel Cerigotto, der Hafen von Vitylo, der solchem Gesindel eine gute Zuflucht bot.
Hier wimmelte es von seetüchtigen Leuten, und von hier aus wurden der griechische Archipel sowohl als die anstoßenden Gewässer des Mittelmeeres mit Raubzügen förmlich überschwemmt. Der eigentliche Sammelpunkt für diesen Teil der Landschaft Magnos führte damals genauer den Namen Kakovonni, und die Kakovonnioten mit ihren Wohnsitzen auf der im Kap Matapan auslaufenden Landspitze hatten leichtes Feld für ihren Seeraub. Auf dem Meere gingen sie den Schiffen direkt zu Leibe. Vom Lande lockten sie dieselben durch falsche Signale heran. Ueberall plünderten sie, überall sengten und brandschatzten sie. Ob die Schiffsbesatzung türkisch war oder maltesisch, ägyptisch oder schließlich auch griechisch, war ihnen so gut wie gleichgiltig: sie wurde ohne Erbarmen niedergemacht oder nach den Barbareskenstaaten in die Sklaverei verkauft. Kam einmal stille Zeit, wurden die Küstenfahrzeuge in den Gewässern des Busens von Koron oder Marathon, auf der Höhe von Cerigo oder des Kaps Gallo rar, dann stiegen öffentliche Gebete empor zum Gott und Herrn der Stürme, damit Er die Gnade habe, ein Schiff von stattlichem Tonnengehalt und mit reicher Fracht zu ihnen zu führen! und kein Gottesknecht weigerte sich, zum größern Nutzen ihrer Getreuen solche Fürbitte in der Kirche zu tun.
Wochenlang hatte es keine Gelegenheit zu Raub und Plünderung gegeben. Kein Schiff war am Strande von Magnos gescheitert. Kein Wunder also, daß der Ruf des Mönchs: "Schiff in Sicht!" sozusagen elektrisierend wirkte.
Fast im selben Augenblick dröhnten die dumpfen Schläge der Simandra, einer Glocke aus Holz mit eisernem Klöppel, die in jenen Provinzen im Brauch ist, wo die Türken metallne Glocken nicht zulassen. Aber die unheimlich klingenden Schläge reichten hin, um eine von Habgier beseelte Bevölkerung zusammenzutreiben: Männer, Weiber, Kinder, blutdürstige gefürchtete Hunde: alle gleichmäßig erfüllt von der Gier zu plündern und zu morden.
Unterdes diskutierten die Leute von Vitylo auf dem hohen Felsen, wo sie standen, mit lautem Geschrei. Was für ein Schiff war es, das der Gottesknecht gemeldet hatte?
Unter dem Druck der Brise aus Nordnordwest, die sich bei sinkender Nacht noch frischte, machte das Schiff, das die Backbordhalsen gesetzt hatte, sehr schnelle Fahrt. Ja, es schien nicht ausgeschlossen zu sein, dass es scharf am Kap Matapan anlaufen würde, dass es lavierte. Sein Kurs schien der Vermutung Raum zu geben, dass es aus den kretensischen Gewässern kam. Schon trat das Schiff langsam über der weiße Furche, die sein Kiel zog, in Sicht; aber sein Segelzeug bildete für das Auge noch immer nur eine verworrene Masse. Demzufolge ließ sich schwer erkennen, zu welcher Gattung von Fahrzeugen das Schiff, das man sah, gehörte. Zufolgedessen widersprachen sich die Meinungen aller Minuten.
"Eine Schebecke ist's!" erklärte einer von den Seeleuten; "ich habe ganz deutlich die viereckigen Segel am Fockmast gesehen!"
"Nicht doch!" erwiderte ein anderer, "eine Pinke ist's und nichts anderes! seht doch sein hohes Achter und den ausgebauchten Vorsteven!"
"Schebecke oder Pinke! ei! wer würde die voneinander unterscheiden können aus solcher Entfernung!"
"Ob's nicht gar eine Polakra ist mit Quadratsegeln?" bemerkte ein anderer Matrose, der sich aus
Weitere Kostenlose Bücher