Der arme Drache (German Edition)
Ungetüm.
Oliver
atmete tief durch und fasste all seinen Mut zusammen, dann schob er
seinen Kopf durch das Gebüsch.
Marie
konnte das Rascheln des Gebüschs zwar hören, doch sie
dachte, es sei bestimmt irgend ein Tier und sie schenkte ihm keine
Beachtung. Statt dessen weinte sie nur noch lauter und ihre Tränen
tropften heiß in das Moos, das an der alten Eiche wuchs.
„ Hallo“,
sagte Oliver schüchtern und auch etwas verlegen. Er selbst fand,
dass seine Stimme zischelnd und irgendwie eidechsenartig klang (was
sogar stimmte, aber jeder Zuhörer hätte ihm gesagt, dass
seine Stimme nicht unangenehm war, hatte man sich erst daran
gewöhnt).
Das
Mädchen schien keine so guten Ohren zu haben wie er. Er musste
nach einer Weile seinen Ruf noch einmal wiederholen, was ihm
schwerfiel, da er einen guten Teil seiner Courage schon beim
erstenmal verbraucht hatte. Da aber bemerkte Marie, dass sie nicht
allein war und entdeckte den kleinen Drachen; besser gesagt, sie sah
seinen Kopf. Furcht stieg in ihr auf, als sie das spitze Horn auf
seiner Nase bemerkte, doch sie war zu erschöpft, um wegzulaufen.
Für sie starrten dort wilde Augen glühend und fremd aus dem
Buschwerk, geschlitzt wie die einer Echse, aber so groß wie der
Handteller eines Kindes. Es war erschreckend, alles in allem, und sie
wusste nicht, dass das Untier fast größere Angst litt als
sie selbst.
Olivers
Herz klopfte wie wild, als er in ihr hübsches Gesicht schaute,
dass von den wunderschönen goldenen Locken umrahmt war. Ihre
Augen waren vom vielen weinen ganz rot und sie blickten sehr traurig,
was auch Oliver traurig machte.
„ Hallo“,
sagte Oliver erneut. „Darf ich aus dem Gebüsch kommen? Die
Dornen jucken ganz fürchterlich, weißt du.“
Noch
immer fürchtete sich Marie, obwohl die Stimme des Drachen
irgendwie freundlich klang. Besonders groß schien er auch nicht
zu sein und er hatte nichts Böses in seinen Augen, sofern sie
das richtig deutete.
„ Wirst
du mir auch nichts tun?“ fragte das Mädchen stotternd.
„ Ich
habe noch nie jemandem etwas getan“ versicherte Oliver und wand
seinen Körper aus dem dornigen Gebüsch. Es raschelte wie
verrückt, als wolle sich das Gebüsch über diese
unsanfte Behandlung beschweren.
Da
sah Marie, dass sie wirklich einen sehr kleinen Drachen vor sich
hatte und sein Schuppenkleid funkelte wunderschön im Licht der
Sonne. Sie hatte noch nie einen leibhaftigen Drachen gesehen und ihre
Furcht machte Neugier Platz.
„ Du
bist ein Drache, nicht wahr?“ fragte sie, da sie es immer noch
nicht recht glauben konnte.
„ Ja“,
bestätigte Oliver und setzte sich einige Schritte von ihr
entfernt ins Gras. „Ich wohne gleich dort drüben. Mein
Name ist Oliver." Das kühle Gras an seinem Hintern
beruhigte ihn ein wenig.
„ Du
bist tatsächlich ein Drache“, wiederholte Marie ungläubig
und fuhr sich mit den Fingern durch ihr goldenes Haar.
„ Das
habe ich doch gesagt“, sprach Oliver geduldig. „Willst du
mir nicht verraten, wie du heißt?“
Immer
noch hoffte er, dass sie nicht weglaufen würde. Sie war der
erste Mensch, der sich je wirklich mit ihm unterhalten hatte und
irgendwie mochte er sie, obwohl er sie erst seit einer Minute kannte.
„ Entschuldige“,
sagte das Mädchen. „Ich bin Marie. Ich wusste nicht, dass
ihr Drachen sprechen könnt."
"Wie
du siehst können wir."
"Ich
meinte, ich wusste nicht, dass ihr es überhaupt für nötig
haltet zu sprechen. Ich denke da an all das, was man so hört
..."
„ Dir
ist bestimmt kalt, so wie du aussiehst", sagte Oliver, um von
diesem unangenehmen Thema abzulenken. "Warum weinst du?“
Er bedachte sie mit einem mitleidigen Blick.
„ Ich
will nicht darüber reden“, zischte Marie und sie schämte
sich im nächsten Moment für ihren patzigen Tonfall.
„ Wenn
du nicht darüber reden willst, ist das in Ordnung“, meinte
Oliver und versank im Anblick ihres schönen Haares. Diese Wogen
von lauterem, güldenen Glanz erinnerten ihn an etwas ... Aber er
war uneigennützig genug, um zuerst die wichtigere Sache
festzustellen, bevor er diesen Gedanken vertiefte. „Aber kalt
ist dir bestimmt. Meine Höhle ist nicht weit von hier und ich
hatte schon seit Ewigkeiten keinen Gast mehr.“
Nun
bemerkte Marie, dass sie wirklich fror und hungrig war sie auch.
Unangenehme Gänsehaut hatte sich auf ihrem Körper breit
gemacht und sie schauderte. Jetzt, da sie die Kälte richtig
wahrnahm, war diese schon zu etwas geworden, dass man so schnell
nicht mehr
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