Der arme Drache (German Edition)
er schlicht und schlurfte von dannen. Als er den
Freunden schon den Rücken zugewandt hatte, fügte er noch
hinzu: "Ich bin froh, dass es so ausgegangen ist."
„ Ich
war in solcher Sorge“, sagte Oliver und setzte Marie sanft auf
dem Boden ab.
„ Ich
nicht“, entgegnete sie grinsend und kuschelte sich an seinen
schuppigen Körper. "Ich hatte keine Zeit dafür, weißt
du."
Der
Winter verging schnell, wenn man bedachte welche Härten er
dieses Jahr für Marie bereitgehalten hatte. Er bereitete Oliver
und ihr keinen weiteren Kummer mehr, weder in Form von
unvorhergesehenen Ereignissen noch mit übermäßigem
Frost oder Kälte oder Sturm. Der verzauberte Frühling, der
immer um Olivers Grotte herum herrschte, verband sich am Ende des
März schließlich fließend mit dem restlichen
aufblühenden Land, das in jedem Winkel wie wiedergeboren war,
nur nicht auf den Gipfeln der höchsten Berge. Mit dem Erwachen
der Natur ging auch Maries Herz auf. Sie unternahm regelmäßige
Spaziergänge zu der verlassenen Hütte und pflegte dort das
Andenken ihres verstorbenen Großvaters. Im Licht der neuen
Jahreszeit wurden eine Menge Stellen enthüllt, die der Reparatur
bedurften. Dies zu bewerkstelligen war für die beiden Freunde
Neuland, so ungewohnt, dass man ihre Ausbesserungen deutlich erkennen
konnte, weit entfernt von den Fähigkeiten eines Fachmannes. Aber
Marie unternahm alles im Sinne ihres Großvaters, brachte
Hingabe dort ein, wo es ihr an Talent oder dem richtigen Material
mangelte. So wie sie Olivers Höhle in Ordnung gehalten hatte,
half der Drache ihr bei allen anfallenden Handwerksarbeiten. Sie
erlernten vieles von der Pike auf, und trotz oder gerade wegen ihres
Fleißes hatten sie viel Freude. Von den eifrigen Beamten wurden
sie übrigens nicht mehr belästigt, denn diese überlegten
es sich von nun an zweimal, ob sie das Gebiet am Waldrand betraten.
Sie
verbrachten fast alle Zeit zusammen und sie kamen sich so nahe, wie
zwei so unterschiedliche Wesen sich nur kommen können. Ihre
Liebe begegnete sich irgendwo in der Mitte. Sie war ungewöhnlich,
einzigartig in ihrer Form, und doch fühlte sie sich niemals
falsch an. Oliver wusste und Marie ahnte, dass diese Liebe nicht für
immer währen würde, weil sie beide von der Natur nicht
füreinander geschaffen waren. Aber an die Zukunft dachten sie in
dieser Hinsicht wenig. Wenn sie doch vom Leben eine glückliche
Zeit geschenkt bekommen hatten, wer waren sie, dieses Geschenk zu
hinterfragen?
Man
sollte sich fragen, wie sich ein Drache und ein Mensch lieben können,
denn diese Frage stellt sich auf den ersten Blick.
Nun,
sie liebten sich auf eine spezielle Art, die sich eigentlich kaum von
der zwischen zwei Menschen unterschied. Das Besondere an ihren
Gefühlen war, dass sie fortwährend neue Kluften zu
überwinden hatten, die sich zwischen ihnen auftaten, weil sie so
verschieden waren. Das andauernde voneinander Lernen war nicht immer
einfach, es war, als würden sie zwei Welten nebeneinander
existieren, Welten, die manchmal keine Gemeinsamkeiten hatten.
Dennoch verbrachten sie eine lange Zeit miteinander und Oliver war
der glücklichste Drache der Welt, auch wenn er immer noch keinen
Goldschatz besaß. Maries Haar befriedigte dieses Bedürfnis
vortrefflich.
Was
letztlich aus den beiden wurde, kann leider niemand berichten, denn
was von Menschenmädchen und Drache überliefert ist, das
endet hier. Es ist keine Tragödie wie sich dieser Abschied
verhält, denn so fällt es leicht daran zu glauben, dass die
Freunde bis an ihr Ende ein leuchtendes Beispiel für die Liebe
waren, gewaltige Unterschiede oder nicht.
Gustav
der Ritter kehrte in seine Heimat zurück, und als er seine
Trauer und seine Scham endlich überwunden hatte, suchte er dort
nach der jungen Frau, die ihm das seidene Taschentuch geschenkt
hatte, denn damit hatte er auf dem Weg von der Höhle fort seine
Tränen getrocknet. Er verbrachte Wochen mit der Suche, da seine
Heimatstadt sehr groß war, und er bezahlte Unmengen an Gold für
Detektive und heimliche Ermittler.
Es
lohnte sich, denn schließlich konnte man die Frau finden und
Gustav fand zusätzlich den Mut tief in seinem Inneren, um ihre
Hand anzuhalten. Gustav blieb ein Ritter und die beiden führten
ein gutes Leben, doch nun steckte in ihm, fest verankert, für
immer die neu gewonnene Weisheit, mit Vorurteilen vorsichtig
umzugehen. Sie konnten sich, wie er am eigenen Leibe erfahren musste,
zu schnell als falsch herausstellen.
Während
die
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