Der Atem des Jägers
Um dem Wind zuzuhören. Um
zu beobachten, wie sich die fetten Iguanas auf den schwarzen Steinen in der Sonne wärmten. Spätnachmittags kamen die Buschböcke
aus den Dickichten wie Geister, um ihre Köpfe ins Wasser zu stippen. Zuerst die eleganten Ricken mit ihrem rot schimmernden
Fell. Später kamen die Böcke in Zweiergruppen, dunkelbraun in der Dämmerung, kräftig, stämmig; spitze Hörner, die auf und
ab gingen, auf und ab.
Thobela hatte sich gefragt, ob sie immer noch dort waren. Ob er und sein Sohn die Nachfahren jener Tiere sehen würden, auf
die er als Kind mit angehaltenem Atem gewartet hatte. Folgten sie immer noch denselben Pfaden durch Unterholz und Buschwerk?
|385| Würde er noch den Weg finden? Sollte er hier anhalten, die Schuhe ausziehen und zwischen den Dornenbüschen verschwinden? Im
leichten Trott über die alten Pfade laufen, bis er den Rhythmus fand, bei dem man das Gefühl hatte, ewig laufen zu können,
solange es nur am Horizont einen Hügel gab, der einen herausforderte?
Während Carlos mit einem Glas und einer Flasche Rotwein vor dem Fernseher saß, holte sie die Spritze mit Blut aus ihrer Handtasche
und versteckte sie hinten in einem Küchenschrank, bei den neuen, unbenutzten Töpfen und Pfannen.
Sie suchte nach einem Versteck für den Spielzeughund, bevor sie ihn unter dem Gemüse in ihren Einkaufstüten hervorzog.
Ihre Hände zitterten, denn sie würde Carlos nicht kommen hören, bevor er im Raum stand.
Zwei Stunden fuhren sie schweigend. Hinter Grahamstown, im Dunkel des frühen Abends, fragte Thobela: »Haben Sie jemals von
Nxele gehört?« Seine Zunge klickte scharf, als er den Namen aussprach.
Er erwartete keine Antwort. Wenn er eine bekam, wußte er, wie sie lauten würde. Die Weißen kannten diese Geschichte nicht.
»Nxele. Es heißt, er sei ein großer Mann gewesen. Zwei Meter groß. Und er konnte reden. Einmal schwatzte er sich von einem
Xhosa-Scheiterhaufen. Und dann wurde er Häuptling, ohne das Blut eines Königs.«
Es war ihm egal, ob der Weiße zuhörte oder nicht. Er schaute weiter auf die Straße. Er wollte die Niedergeschlagenheit abschütteln,
wollte sagen, was diese Landschaft in ihm auslöste, wollte die Anspannung auflösen.
»Damals war das unglaublich, vor fast zweihundert Jahren. Er lebte zu einer Zeit, in der die Schwarzen einander bekriegten
– und die Engländer auch. Dann kam Nxele und sagte, sie müßten aufhören, den weißen Gott anzubeten. Sie müßten |386| der Stimme Mdalidiphus lauschen, des Gottes der Xhosa, der sagte, man dürfte nicht vor ihm im Staub knien. Sie müßten leben.
Sie müßten tanzen. Sie müßten die Köpfe heben und das Leben lieben. Sie müßten mit ihren Frauen schlafen, damit wir uns vermehrten,
damit wir die Erde füllten und die Weißen vertrieben. Damit wir unser Land zurückbekämen.
Man könnte sagen, er war der Urvater des ersten Freiheitskampfes. Dann versammelte er zehntausend Krieger. Haben Sie gesehen,
wo wir heute entlanggefahren sind, Griessel? Haben Sie das gesehen? Können Sie sich vorstellen, wie zehntausend Krieger wirken,
die über diese Hügel kommen? Sie haben sich mit rotem Lehm angemalt. Jeder hielt sechs oder sieben lange Wurfspeere in der
Hand, dazu einen Schild. So liefen sie her. Nxele wies sie an, still zu sein, nicht zu singen oder zu rufen. Sie wollten die
Engländer hier in Grahamstown überraschen. Zehntausend Krieger im Gleichschritt, ihre Schritte der einzige Laut. Durch die
Täler und über die Flüsse, und die Hügel sahen sie aus wie eine lange rote Schlange. Stellen Sie sich vor, Sie sind Engländer
in Grahamstown und erwachen eines Morgens im April und schauen die Hügel hoch. Einen Augenblick lang sieht alles aus wie immer,
und im nächsten steht eine Armee auf den Hügeln, und sie sehen wie zigtausend Speere glitzern, aber sie hören keinen Laut.
So ist der Tod gekommen.
Nxele ging zwischen ihnen hindurch. Er sagte ihnen, sie sollten ihre langen Speere auf dem Knie zerbrechen. Er sagte, Mdalidiphu
würde die Kugeln der Briten in Wasser verwandeln. Sie müßten gemeinsam die Kanonen und Pistolen angreifen und die langen Speere
werfen, wenn sie nah genug waren. Und sie konnten werfen, diese Männer! Auf sechzig Meter Entfernung konnten sie einen Speer
durch die Luft schleudern und das Herz eines Engländers treffen. Wenn der letzte Wurfspeer verwendet war, sollten sie den
Speer mit dem abgebrochenen Schaft heben. Nxele
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