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Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Titel: Der Atlantik - Biographie eines Ozeans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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zurückrinnen, dort scheint er das regelmäßige Ein- und Ausatmen eines Lebewesens nachzuahmen. Es wimmelt in ihm auch von symbiotischen Existenzen, von unvorstellbaren Mengen monströser Wesen, winzigen wie riesigen, die wie in einer Art maritimer Harmonie in seinen Tiefen zusammenhausen und das Gefühl erzeugen, dass die gewaltige Wassermasse zu vibrieren, ja zu pulsieren scheint. Und dieser Ozean besitzt auch eine Psyche: Er gibt wechselnde Stimmungen zu erkennen. Manchmal ist er verdrießlich und mürrisch, bisweilen gibt er sich durchtrieben und neckisch, immer aber ist er nachdenklich und sich seiner Kraft bewusst.
    Er besitzt auch eine ziemlich genau berechenbare Lebensspanne. Geologen glauben, dass der Atlantische Ozean, wenn es mit ihm vorbei sein wird, insgesamt für zirka 370 Millionen Jahre existiert haben wird. Es ist ungefähr 190 Millionen Jahre her, dass sich sein Bett auftat und nach und nach mit Wasser füllte, bis er wahrhaft ozeanische Dimensionen angenommen hatte. Jetzt ist er gesetzt und genießt ein ziemlich ruhiges mittleres Alter; er befindet sich in einer Phase, in der er jedes Jahr ein wenig breiter wird und in seiner mittleren Region hin und wieder ein paar Vulkane zu speien beginnen, er aber von keinen allzu drastischen geologischen Konvulsionen geschüttelt wird. Diese werden ihn aber in der Zukunft ereilen.
    Es wird nicht mehr allzu lange dauern, bis der Atlantik seine Konturen und Abmessungen verändern wird, und zwar dramatisch. Er wird nach und nach schmaler werden, dann nämlich, wenn die ihn umgebenden Kontinente anfangen werden zu beben und in unterschiedliche Richtungen davonzugleiten; seine Küsten werden sich einander annähern und am Ende wieder so zusammengeschweißt sein, wie sie es schon einmal waren. Aus dem Meer wird dabei nach und nach das Wasser hinausgepresst werden, und es wird, Schätzungen von Zukunftsforschern zufolge, nach weiteren 180 Millionen Jahren ganz verschwunden sein.
    Alles in allem ist das aber keine kurze Lebensspanne. Nehmen wir einmal an, dass die Gesamtexistenz der Welt, vom Hadaikum, als sich allmählich eine feste Erdkruste zu bilden begann, bis zum heutigen Holozän mit seinen kühlen Wiesen, an die 4,6 Milliarden Jahre umfasst. Bei einer Schlussabrechnung würde also die Existenzzeit des Atlantiks als selbständigem Gewässer mit 370 Millionen Jahren rund acht Prozent der Zeit entsprechen, in der unser Planet bis dahin existiert haben wird. Die meisten anderen Ozeane der Welt, die sich gebildet haben und wieder vergangen sind, haben nur für wesentlich kürzere Zeiträume bestanden. Was Langlebigkeit betrifft, wird der Atlantik vermutlich in einer Art ewiger Bestenliste mit an der Spitze stehen, den Rang eines Oldtimers erreichen oder möglicherweise sogar zu einem verehrungswürdigen Rekordbrecher werden.
    Es ist daher sowohl möglich als auch vernünftig, die Geschichte des Atlantischen Ozeans in Form einer Biographie zu erzählen. Er ist ein lebender Organismus, seine geologische Geschichte lässt sich in Phasen wie Geburt, Heranwachsen und Evolution zu seiner gegenwärtigen, »mittelalterlichen« Gestalt und Größe gliedern, und sie wird mit einem ziemlich genau vorherzubestimmenden Finale enden, das sich aus Schrumpfung, Verfall und Tod zusammensetzt. Auf das Wesentliche reduziert, ist es eine relativ einfache Geschichte, die Biographie einer lebendigen Entität, deren Anfang sich erschließen lässt, deren mittlere Lebensphase vor uns liegt und über deren Ende sich relativ zuverlässige Vermutungen anstellen lassen.
    Doch würde eine solche Geschichte noch viel mehr einschließen müssen, denn wir dürfen an ihr alles das nicht außer Acht lassen, was die Menschheit betrifft.
    Menschen haben seit Urzeiten an den Rändern des Atlantiks und auf seinen Inseln gelebt, sie haben ihn später in allen Richtungen überquert, ihn ausgeplündert, auf ihm gekämpft, sich seiner bemächtigt, ihn kartografiert und ihm Gewalt angetan, und durch das alles haben sie ihm zentrale Bedeutung für die Entwicklung unseres eigenen Lebens verliehen. Auch das ist eine Geschichte – eine, die sich nicht nur stark von jener der Entstehung und des Vergehens des Ozeans unterscheidet, sondern darüber hinaus viel kürzer ist, – für uns als Menschen jedoch ungleich wichtiger.
    Es gab keine Menschen, als der Ozean sich bildete. Es wird keine geben, wenn er zu existieren aufhört. Für eine exakt bestimmbare Periode jedoch, die fast genau mit der mittleren

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