Zwei wie wir: Roman (German Edition)
Sommer 1997
W i llst du, Alex Zimmer, die hier anwesende Corinna Johannsen, zum dir angetrauten Weibe nehmen? So antworte mit Ja.«
Der Pastor sieht mich erwartungsvoll an, genau wie die rund hundert Gäste in der kleinen Landkirche, in der wir uns trauen lassen wollen. Corinna, die ich wie alle Inna nenne, steht vor mir und lächelt mich an. Neben ihrem Mund entdecke ich die Grübchen, die mir schon bei unserem ersten Zusammentreffen so gut gefallen haben. Das ist zwei Jahre her. Und jetzt sollen wir also Mann und Frau werden.
Der Pastor hüstelt und flüstert in meine Richtung: »Alex, du musst jetzt Ja sagen.«
»Ich weiß. Gleich … «
Der Pastor seufzt mit einem ergebenen Blick gen Himmel. »Das sind die Nerven. Aber egal. Wir beginnen einfach noch einmal von vorne. Also, ich frage dich, Alex Zimmer: Willst du die hier anwesende … «
Er bringt die Frage zu Ende. Aber ich antworte wieder nicht. Ich weiß nicht, was los ist. Es ist wie verhext. Ich öffne den Mund, aber meine Stimme versagt.
In die Reihen der Hochzeitsgäste kommt Unruhe. Es wird getuschelt, Stirnen runzeln sich, Köpfe werden geschüttelt. Was ist denn mit dem los? Jaja, haben wir’s doch gleich gewusst. Ein Chaot.
Auch Inna, die Frau, die ich liebe und die mir mehr bedeutet als alles andere auf der Welt, sieht mich verwundert an. »Alex? Ist alles in Ordnung?«
»Wir warten«, fügt der Pastor mit leicht genervter Flüsterstimme hinzu.
»Ich brauche nur noch eine Sekunde. Bin gleich so weit.«
Ich schließe die Augen und sehe mich selbst in der Vergangenheit. Es ist genau zwei Jahre her. Ich besuche eine Party und stehe in der Küche der Gastgeber neben einer Frau. Sie hat lange, dunkelbraune Haare, die ihr bis auf die Schultern fallen, ist nicht besonders groß und sieht mich selbstbewusst aus ihren großen, braunen Augen an. Keine Ahnung, wer sie ist oder zu wem sie gehört. Wir kommen ins Gespräch, reden erst über die Antipasti und den Nudelsalat, dann über uns. Eine toughe Achtundzwanzigjährige, schlank, mit dunklen Haaren und entzückenden Grübchen, die mir als Erstes erzählt, dass sie alleine ein Kind aufzieht und seit einem halben Jahr auf keiner Party mehr war. Und ich? Erzähle ihr, dass ich ein Jahr älter wäre, mit einem Freund einen Klub betreibe und mir nichts sehnlicher wünsche, als endlich mal wieder ein Wochenende ruhig und ohne Alkohol zu Hause zu verbringen.
Sie heißt Inna, sieht mich lachend an und sagt: »Dann ist es wohl ziemlicher Zufall, dass wir uns überhaupt begegnen, was? Ich zum ersten Mal seit Langem draußen, du vielleicht zum letzten Mal.« Nett, aber auch irgendwie provozierend. In ihrem Blick dieser ganze abgenudelte Du-bist-einer-von-denen-die-nie-erwachsen-werden-wollen-Vorwurf .
»Ja, absolut unwahrscheinlich. Wie ein Schimpanse, der ein Gedicht von Shakespeare schreibt.« In meinem Blick der Noch-keine-dreißig-und-schon-so-spaßbefreit-Vorwurf. Klar, das ist übertrieben. Ich kenne sie ja gar nicht. Sie gefällt mir. Sie macht mich neugierig. Aber sie ärgert mich auch.
Es knirscht zwischen uns, aber gerade das zieht mich an. Und sie offensichtlich auch. Wir vergessen die Party um uns herum, reden die ganze Nacht und spazieren im Morgengrauen durch die Straßen, wo wir uns mit einem Kuss verabschieden.
Sie und ich. Zwei wie wir. Das passte so gut wie Senf zu Erdbeerkuchen oder ein Oasis-Song auf eine Hippie-Party. Ganz abgesehen davon, dass ich in einer Beziehung steckte. Oder so etwas Ähnlichem. Denn mehr als eine So-etwas-Ähnliches-wie-Beziehung war für mich damals sowieso undenkbar. Ich war noch keine dreißig. Praktisch ein Teenager.
Trotzdem, ich wollte der Sache auf den Grund gehen. Ich machte mich schlau über sie. Ein Kind. Trotzdem Karriere. Und Verantwortung. Drei Gründe, die Finger von ihr zu lassen.
Das erste Date war dann eine Art Test, dem sie mich unterzog. Ein Nachmittag mit ihr und Julian, ihrem damals zweijährigen Sohn, im Zoo. Ich bestand, aber nicht, weil ich mir Mühe gab, sondern weil ich Spaß hatte. Dann folgten Spaziergänge an der Elbe, Konzerte, Kino, Telefonate am Abend, SMS am Morgen. Kein Tag mehr ohne sie. Wir überschritten eine Schwelle, hinter der es kein Zurück gab. Die erste Nacht, das erste Wochenende, der erste Streit, die erste Versöhnung, die erste Nacht ohne Sex, Tage, Nächte, Wochen, Monate.
Und nach fast zwei Jahren stellten wir zu unserer eigenen Überraschung fest, dass all diese Dinge zu einem gemeinsamen Leben geworden
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