Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
er noch etwas wie »Habt acht auf euch! Gute Überfahrt!« rief, wurden seine Worte von der kräftigen Brise fortgerissen. In weniger als einer Stunde, dachte ich, würden er und seine Frau dösend vor dem Fernseher sitzen, während die Katze sich vor dem Kaminfeuer zusammengerollt hatte.
Nachdem das Lotsenboot aus unserem Kielwasser verschwunden war, fuhren wir unsere Maschinen hoch, und bald trieben die Turbinen uns hurtig voran; wir machten zwanzig Knoten, vielleicht sogar mehr, und die wenigen noch aus dem Himmel niederfallenden Regentropfen schmerzten im Gesicht wie Nadelstiche. Bald rauschten wir geradezu über das Meer, unbekümmert um das von dem Sturm, der, wie es im letzten Licht der untergehenden Sonne schien, dabei war, sich zu legen, aufgewühlte Wasser. Ich harrte auf dem Vorderdeck aus, um nach anderen Schiffen Ausschau zu halten. Eine Flotte Fleetwood-Trawler strebte zu ihrem Heimathafen zurück, ein, zwei Frachter liefen uns entgegen, und dann kam etwas in Sicht, das der Silhouette nach ein Kriegsschiff sein konnte; ein Zerstörer vielleicht, der ebenfalls nach Norden fuhr, aber schneller als wir und ganz geräuschlos.
In Ocean Passages for the World , dieser Bibel für alle Fahrensleute, die das Meer überqueren wollen, werden oft scheinbar exzentrische Vorschläge in Bezug auf die Planung einer Route gemacht. Jede Seekarte zeigt, dass Montreal sich auf einem Breitengrad acht Grad südlich von Liverpool befindet; man würde daher annehmen, ein Schiff, das von der Merseymündung aus dorthin gelangen wollte, würde am besten einen Kurs Richtung Süden steuern, an der walisischen Küste vorbeilaufen, dann den St. George’s Channel, der die Irische See mit dem Atlantik verbindet, passieren und – Cork und den Leuchtturm auf Fastnet Rock 1 in gebührender Entfernung an Steuerbord liegen lassend – in den Ozean einfahren, um dann direkten Kurs auf die Trichtermündung des Sankt-Lorenz-Stroms zu nehmen. Doch die Bibel mit dem blauen Rücken sagt etwas ganz anderes: Für Schiffe, die – wie damals in meinem Fall die Empress of Britain – im Frühjahr von Liverpool aus zu einem kanadischen Hafen aufbrechen, sei es in navigatorischer Hinsicht ratsamer, nicht die südliche Spitze Irlands anzusteuern, sondern die nördliche und, erst nachdem sie die Küste Donegals in der Nähe von Bloody Foreland hinter sich gelassen hätten, den Schwenk nach Süden, Richtung Kanada, einzuleiten. »Obwohl man dort häufig in schweres Wetter gerät«, heißt es in den sehr spezifischen und detaillierten Ratschlägen, die Ocean Passages für Segler bereithält, »trifft man dort im Allgemeinen auf günstigere Winde und wird auf dem letzten Teil der Strecke von den Strömungen aus der Arktis unterstützt.«
Irische Emigranten auf dem Weg zu einem der nordamerikanischen Häfen warfen melancholische Blicke auf Fastnet Rock mit seinem Leuchtturm und verfolgten mit, wie diese südwestlichste Spitze ihres Heimatlandes langsam hinter dem Horizont versank. Aufgrund ihrer Assoziation mit einem bitter-süßen Abschiednehmen wurde diese kleine Insel auch »Irlands Träne« genannt.
© Fotografie von Richard Webb
Wir waren ein großes, höchst modernes Schiff mit stählernem Rumpf und genügend Pferdestärken, um solche Bagatellen wie Winde, Stürme und Strömungen aus der Arktis ignorieren zu können. Unser Fahrplan sah aber die Aufnahme weiterer Passagiere und zusätzlichen Frachtguts bei Greenock am Clyde vor – deswegen befanden wir uns an jenem Abend nicht auf dem Weg nach Süden, sondern nach Norden, aus der Mündung des Mersey heraus und in die Irische See hinein. Gegen Mitternacht sahen wir das Leuchtfeuer bei Calf of Man aufzucken und noch später auf der Steuerbordseite von Galloway her Lichter flimmern, während backbord die abweisenden Basaltklippen von County Antrim aufragten.
Als es – bei wieder einsetzendem Regen und kräftigem Wind – zu dämmern begann, passierten wir Ailsa Craig, ein winziges Inselchen aus feingekörntem, gesprenkeltem Granit, aus dem die besten Curling-Steine gefertigt werden. Wir fuhren an der Ostküste der Insel Arran entlang – auf dem Gipfel von Goat Fell lag noch ein Rest von Schnee –, und um elf, dem Zeitpunkt, zu dem uns die »Bouillon auf dem Bootsdeck« in Aussicht gestellt worden war (an jenem Tag wurde aber keine ausgeschenkt), gingen wir in der Höhe von Greenock vor Anker. Eine Flottille kleiner Boote brachte eine Handvoll neuer Passagiere heran – zwei von ihnen waren an
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