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Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Titel: Der Atlantik - Biographie eines Ozeans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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gelesen hatte, mitteilte, dass wir uns über dem Bristol Channel befänden, unsere Fluggeschwindigkeit reduzieren und binnen kurzem in London landen würden. Für eine kurze Zeitspanne haftete Flügen über den großen Ozean hinweg etwas beinahe ebenso Romantisches und unvergesslich Eindrucksvolles an wie Seereisen. Doch das änderte sich bald.
    Für mich wurde das durch einen kleinen semantischen Wandel angezeigt. Von irgendeinem Zeitpunkt in den Achtzigern an ließen die Piloten der Maschinen, die zwischen Heathrow und Kennedy Airport verkehrten, in die Ankündigung, mit der sie ihre Gäste an Bord willkommen hießen, nahezu beiläufig eine Bemerkung der Art einfließen wie: »Unsere Route wird uns heute über Island hinwegführen«, und zwar mit einer leichten Betonung des Wortes »heute«, als wäre der gestrige Flug mehr oder weniger genauso vonstatten gegangen, abgesehen davon, dass er über Grönland oder die Färöer geführt hatte. Oder sie ließen ihre Passagiere wissen, dass die Route von Flug 177 – oder welches auch immer die Flugnummer war – »aufgrund starken Gegenwinds ein wenig weiter nördlich verläuft als gewöhnlich und wir den nordamerikanischen Kontinent in der Höhe von Labrador erreichen und dann über den US-Bundesstaat Maine hinweg Richtung Süden fliegen werden«.
    Mir schien das bedauerlich zu sein. Es war so, als würde man uns aus dem Cockpit mitteilen, dass nichts Spannendes mehr an der Sache war, sondern der heutige Flug ziemlich genau wie der gestrige oder der davor ablaufen würde, und dass die Überquerung dessen, was als »der große Teich« 3 bekannt geworden war (ein Terminus, mit dem der Ozean zu einem nahezu bedeutungslosen Gewässer herabgewürdigt wurde), unweigerlich so ablaufen würde, wie man es zu dieser bestimmten Jahreszeit erwarten könne: routinemäßig, mit anderen Worten.
    Und wir Passagiere bekamen so gut wie nichts von dem Flug mit. Wenn wir uns mit Büchern und Wolldecken ein behagliches Nest bereitet, den fremden Reisegenossen an unserer Seite mit den obligatorischen freundlichen Worten oder Lauten bedacht, einen Blick auf die Speisekarte geworfen und uns flüchtig gefragt hatten, ob es wohl noch zu früh wäre, einen Drink zu bestellen, ließen wir uns zurücksinken und bekamen kaum etwas von dem Start mit, der uns zwanzig Jahre zuvor vielleicht noch fasziniert hätte. Und Ähnliches galt auch für die Landung sechs oder sieben Stunden später. Vielleicht verspürte man dann etwas mehr Neugier, denn die Heimat war nahe, und man wollte noch in der Luft eine Ahnung von ihr aufschnappen, vielleicht sogar einen Blick auf sie erhaschen. Im Großen und Ganzen machte es aber keinen Unterschied, ob wir sechs Meilen unter uns die Wälder von Labrador oder die auf Anticosti Island sahen oder ob unser erster Kontakt mit Nordamerika bei Cape Breton Island oder Sandy Hook oder Cape Cod stattfand. Alles, was uns wirklich interessierte, war, ob wir planmäßig ankommen und die Zollformalitäten nicht zu zeitraubend sein würden, so dass wir möglichst schnell wieder festen Boden unter den Füßen haben und anfangen konnten, das zu tun, um dessentwillen wir die Reise angetreten hatten. Die graugrüne, immer gleich aussehende Weite des Ozeans, die wir gezwungenermaßen zu überqueren gehabt hatten, war eigentlich ohne jede Bedeutung.
    So verhielt es sich auch für mich jahrelang – bis zu einem noch nicht lange zurückliegenden Sommernachmittag, als ich auf einer Triple Seven von British Airways ohne Reisegefährten, ohne mich mit jemandem unterhalten zu können und zutiefst gelangweilt, unbequem in einen Fenstersitz auf der rechten Seite gequetscht, wieder einmal nach New York unterwegs war. Der Lunch war schon längst serviert worden, ich hatte die Zeitung ausgelesen und auch das einzige Buch, das ich dabeihatte. Das allgemeine Unterhaltungsprogramm war kaum zu ertragen. Wir hatten noch drei Stunden vor uns, und ich flüchtete mich in Tagträume. Ich schaute müßig durch die Plexiglasscheibe. Es war vollkommen wolkenlos, und mehrere Meilen unter uns erstreckte sich die See, von einem genauso tiefen Blau wie der Himmel, nicht ganz glatt, sondern leicht gekräuselt, stumpf glänzend wie matte Aluminiumfolie oder Zinn oder auch gehämmerter Stahl; sie schien unter der Tragfläche hindurch langsam Zentimeter für Zentimeter nach hinten zu rücken.
    Ich hatte vielleicht schon fünfzehn Minuten auf die blaue Wasserfläche hinuntergestarrt, als es mir plötzlich so vorkam, als

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